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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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nicht; sie waren nicht imstande, ihm zwei Franken alle vierzehn Tage zu geben. Überdies sei vorgestern ein Unglück dazwischen gekommen: sie habe einem Schuhmacher, der ihnen mit der Pfändung drohte, zwanzig Franken bezahlen müssen. Darum seien sie jetzt ohne einen Sou; wäre dieser Zwischenfall nicht gewesen, sie hätten bis zum Sonnabend das Auslangen gefunden wie die anderen.
    Maigrat, der die Arme auf dem dicken Bauche gekreuzt hielt, antwortete auf jede neuere Bitte mit einem stummen Nein.
    »Nur zwei Brote, Herr Maigrat. Ich bin ja vernünftig und verlange keinen Kaffee .... Nur zwei Brote zu drei Pfund täglich ....«
    »Nein!« schrie er endlich mit voller Kraft.
    Jetzt war sein Weib zum Vorschein gekommen, ein gebrechliches Geschöpf, das seine Tage über dem Geschäftsbuche hockend zubrachte und nicht aufzublicken wagte. Sie verschwand sogleich wieder, als sie das unglückliche Weib flehentliche Blicke auf sie richten sah. Man erzählte, daß sie das eheliche Bett den Schlepperinnen überließ, die zur Kundschaft des Ladens gehörten. Es war eine bekannte Sache: wenn ein Grubenarbeiter eine Verlängerung seines Kredites anstrebte, brauchte er nur seine Tochter oder sein Weib zu senden; ob schön oder häßlich, war gleichgültig, wenn sie sich nur Maigrat gegenüber willfährig zeigten.
    Frau Maheu, welche die Augen noch immer bittend zu Maigrat erhob, fühlte sich belästigt durch die Art und Weise, wie er sie mit seinen kalten, klaren Äuglein musterte und gleichsam entkleidete. Sie geriet in Zorn; als sie noch, jung war, bevor sie sieben Kinder geboren, würde sie begriffen haben. Sie ging weiter und zerrte Leonore und Heinrich mit sich, die aus dem Straßenschmutze Nußschalen aufgelesen hatten, deren Inneres sie untersuchten.
    »Das wird Ihnen kein Glück bringen, Herr Maigrat; merken Sie sich's!«
    Jetzt blieben ihr nur die Bürgersleute in der Piolaine. Wenn diese nicht hundert Sous hergaben, konnten sich alle hinlegen und verrecken. Sie wandte sich links und schlug den Weg nach Joiselle ein. Hier stand das Haus der Grubenverwaltung --- in dem Winkel, den die Straße bildete ---, ein wahrer Palast aus Ziegeln erbaut, wo die großen Herren aus Paris, Fürsten, Generale und Minister, alljährlich im Herbste große Essen gaben. Unterwegs sann Frau Maheu darüber nach, wie sie die hundert Sous verwenden werde: Sie werde zunächst Brot kaufen, dann Kaffee, ein Viertelpfund Butter, einen Scheffel Kartoffeln für die Frühsuppe und zum Abendbrot, endlich vielleicht ein wenig Fleischkäse, denn der Vater müsse Fleisch bekommen.
    Der Pfarrer von Montsou, der Abbé Joire, kam eben vorüber und hob seine Sutane in die Höhe, um sie im Straßenkote nicht zu beschmutzen. Er war von milder Gemütsart und tat, als kümmere er sich um nichts, um weder die Arbeiter noch ihre Herren gegen sich zu erzürnen.
    »Guten Tag, Herr Pfarrer!« grüßte die Maheu.
    Er lächelte den Kindern zu und ließ die Maheu mitten in der Straße stehen, ohne sich aufzuhalten. Die Maheu war jeder Religion bar; aber sie hatte sich plötzlich eingebildet, dieser Priester werde ihr etwas geben.
    Sie setzte also ihren Weg in dem schwarzen, teigigen Schmutze fort. Zwei Kilometer hatte sie noch zurückzulegen. Erstaunt über diese weite Wanderung ließen sich die Kinder immer mehr schleppen. Rechts und links vom Wege lagen noch immer wüste Stellen, von moosbedeckten Planken eingeschlossen, und rauchgeschwärzte Fabrikgebäude, von hohen Schloten starrend. Im Freien dehnten sich dann die flachen Felder endlos dahin, einem Meer von braunen Schollen gleich, in dem kein Baum sein Geäst ausbreitete, bis zur violetten Linie des Waldes von Vandame.
    »Mutter, trage mich!«
    Sie trug sie abwechselnd. Es gab Pfützen auf der Straße; sie hob ihre Röcke in die Höhe aus Furcht, allzu schmutzig anzukommen. Dreimal war sie nahe daran, auf dem glitschigen Pflaster zu fallen. Als sie endlich vor der Auffahrt des Hauses anlangten, stürzten sich zwei riesige Hunde mit so wütendem Gebell auf sie, daß die Kleinen entsetzt aufschrien. Der Kutscher mußte eine Peitsche nehmen und die Hunde zurückjagen.
    »Laßt eure Holzschuhe draußen und tretet ein«, sagte Honorine.
    Die Mutter und die Kinder standen unbeweglich in dem Speisezimmer, betäubt durch die plötzliche Hitze, sehr verlegen unter den Blicken des alten Herrn und der alten Dame, die in ihren Lehnsesseln ausgestreckt lagen.
    »Meine Tochter, walte deines Amtes«, sprach die alte Dame.
    Die

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