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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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als er ihr sagte, sie möge ihre Tochter wegen des Einkaufes senden. Man werde schon sehen, sagte sie. Sie setzte im Stillen hinzu, Katharina werde ihm Maulschellen versetzen, wenn er ihr zu nahe kommen solle.
     

Drittes Kapitel
    Es schlug elf Uhr im Turm der kleinen Kirche des Arbeiterdorfes der Zweihundertundvierzig; diese Kirche war eigentlich eine aus Ziegeln erbaute Kapelle, in welcher der Abbé Joire am Sonntag die Messe las. Aus der Schule nebenan, gleichfalls aus Ziegeln erbaut, hörte man die lallenden Stimmen der Kinder, trotzdem die Fenster wegen der Kälte geschlossen waren. Die zwischen den vier Blöcken von gleichartigen Häusern sich hinziehenden breiten Straßen, eingekeilt in kleine, aneinanderstoßende Gärtchen, waren verödet; und diese vom Winter verheerten Gärtchen breiteten sich in der Trübseligkeit ihres Mergelbodens aus, in dem die letzten Gemüse wie schmutzige Höcker staken. Die Schornsteine rauchten, in den Häusern wurde die Mittagssuppe gekocht; da und dort sah man ein Weib längs der Häuser auftauchen, dann eine Tür öffnen und verschwinden. Vor allen Häusern, von einem Ende der Straße bis zum andern, tröpfelte es aus den Abzugsröhren in die davor stehenden Bottiche; zwar regnete es nicht, aber der graue Himmel hing voll feuchten Dunstes. Dieses Dorf, in einem Stück mitten in die weite Hochebene hineingebaut, von schwarzen Straßen wie von einem Trauerband eingesäumt, zeigte keinen hellen Punkt als seine roten Ziegeldächer, die von dem Platzregen unaufhörlich blankgewaschen wurden.
    Als Frau Maheu heimkehrte, machte sie einen Umweg, um Kartoffeln bei dem Weibe eines Aufsehers zu kaufen, die noch von der Ernte her einen Vorrat übrig hatte. Hinter einer Reihe krüppelhafter Pappeln -- der einzigen Bäume in dieser flachen Gegend -- stand eine Gruppe vereinzelter Gebäude, Häuser zu vier und vier, von Gärten umgeben. Es war dies ein neuer Versuch, den die Gesellschaft machte, um ihren Aufsehern eine Begünstigung zuzuwenden; dieser Teil der Ansiedelung wurde deshalb von den Arbeitern »Das Dorf der Seidenstrümpfe« genannt, während sie in gemütlicher Verhöhnung ihres Elends das eigene Dorf »Schuldenzahler« nannten.
    »Uff! Endlich sind wir da«, sagte die mit Bündeln beladene Frau Maheu, als sie die mit Schmutz bedeckten, todmüden Kinder Leonore und Heinrich ins Haus schob.
    Vor dem Feuer saß Alzire und wiegte die unaufhörlich schreiende Estelle in den Armen. Da sie keinen Zucker mehr hatte und nicht wußte, wie sie das Kind zum Schweigen bringen solle, tat sie schließlich, als wolle sie ihm die Brust reichen. Diese Täuschung hatte schon oft Erfolg. Allein diesmal hatte sie vergebens das Kleid geöffnet und den Mund des Kleinen an ihre magere Brust eines achtjährigen kranken Kindes gepreßt; Estelle nagte wütend an der Haut, ohne etwas darin zu finden.
    »Gib sie her«, sagte die Mutter, als sie ihr Bündel abgelegt hatte. »Wir können sonst bei dem Geschrei kein Wort reden.«
    Als sie aus dem Mieder eine Brust hervorgeholt hatte, die schwer war wie ein Euter und der Schreihals -- plötzlich verstummend -- sich gierig an den Zutzel machte, konnte man endlich ein Wort reden. Übrigens war alles in Ordnung; die kleine Hauswirtin hatte das Feuer unterhalten, die Wohnstube ausgekehrt und aufgeräumt. In der Stille hörte man oben den Großvater schnarchen; es war dasselbe gleichmäßige Schnarchen, das nicht einen Augenblick aufgehört hatte.
    »Sind das feine Sachen!« sagte Alzire, indem sie die mitgebrachten Vorräte lächelnd musterte. »Wenn du willst, Mutter, mache ich die Suppe.«
    Der Tisch war voll; ein Bündel Kleider, zwei Brote, Kartoffeln, Butter, Kaffee, Zichorie und ein halbes Pfund Fleischkäse.
    »0h, die Suppe!« sagte die Maheu mit müder Miene; »da müßte man erst Sauerampfer und Lauch pflücken ... Nein, ich werde nachher für die Mannsleute Suppe kochen ... Setze Kartoffeln ans Feuer; wir essen sie mit ein wenig Butter ... Und Kaffee: vergiß den Kaffee nicht!«
    Doch plötzlich erinnerte sie sich des Kuchens. Sie schaute auf die leeren Hände Leonores und Heinrichs, die schon wieder wohlgemut waren und sich am Boden wälzten und prügelten. Die naschhaften Rangen hatten unterwegs heimlich den Kuchen gegessen! Die Mutter ohrfeigte sie, während Alzire, die den Kochtopf ans Feuer setzte, die Mutter zu beruhigen suchte.
    »Laß sie, Mama. Wenn es meinethalben ist, so weißt du ja, daß ich den Kuchen nicht mag. Sie haben Hunger bekommen,

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