Gern hab ich Sie bedient: Aufzeichnungen des Oberkellners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg (German Edition)
nimmt und die darauf liegenden Trinkgeldmünzen in seine Rocktasche schüttet. Na, denke ich, er will sein Trinkgeld wieder zurück – das er doch gar nicht gegeben hat.
Sollte sich eigentlich schämen. Tut er aber sicher nicht. So etwas würde selbst ein Diener nie machen.
Wie man dem Gast auch dann dient, wenn er nicht da ist
Es war mir nie genug, dem Gast nur vor Ort, also im Restaurant, dienen zu können, ich wollte dieses Dienen auch noch während seiner Abwesenheit zelebrieren. Hierzu habe ich mir einige Tricks und Methoden erdacht. Wenn ich in Erfahrung gebracht hatte, wann der Gast Geburtstag, Hochzeitstag, »Kennenlerntag« oder irgendein anderes Fest feierte, nahm ich diesen Termin zum Anlass, ihm einen Brief mit Grußkarte ins Haus zu schicken. Das war eine gute Möglichkeit, ihm Hotel, Restaurant und mich in Erinnerung zu bringen.
Hierbei waren mir einige kleine Pfiffigkeiten von Nutzen. Wenn der kleine Enkel Geburtstag hatte, war es vorteilig, den Gruß der Großmutter zu schicken. Die Großmutter reicht den Glückwunsch dann an Tochter oder Sohn weiter, über die die Grußpost wiederum an den eigentlichen Jubilar gelangt. Somit habe ich mit einem Schlag drei Fliegen – ich meine Generationen – erwischt und viele Familienmitglieder zugleich mehr oder weniger erfreut. Diese erzählen dann ganz stolz ihren Freunden, dass sie aus dem feinen Hotel Vier Jahreszeiten eine besondere Geburtstagspost bekommen haben. Ein guter Multiplikator. Wir alle wissen, die beste und effektivste Werbung ist die Mundpropaganda: die Werbung, die nichts kostet. (Leider machen im umgekehrten Fall auch Beschwerden und andere nachteilige Meldungen auf diesem Weg nicht minder schnell und effektiv die Runde.)
Die Grüße sollten zwei bis drei Tage vor dem Festtag ankommen, damit der Gast die Möglichkeit hat, sich für den Gruß zu bedanken – zum Beispiel in Form eines Besuches. Natürlich werden meine Karten mit einer richtigen Feder geschrieben: der Gruß mit einer einen dreiviertel Millimeter breiten Feder und das Briefkuvert mit anderthalb Millimeter Federbreite. Die Tinte darf nicht zu dünn sein, sonst franst die Schrift aus. Montblanc ist für Schreibwerkzeug und Zubehör ein guter Hersteller. Auch ein zufälliger Tintenpatzer macht sich auf Briefpapier immer gut. Selbst die Krickelkrakel-Schrift des Federkiels hat etwas anheimelnd Nostalgisches, wie aus vergangener Zeit.
Eine hinreißende Hamburgerin versicherte mir, ich hätte »die schönste Schrift eines Wiener Oberkellners in Hamburg«. Könnte stimmen. Zur Weihnachtszeit schenkte sie mir einen Füllhalter. Gefasst mit aus Silber getriebenen Arabesken. Wunderschön. Er hatte nur einen Nachteil – es fehlte das Innenleben. Er schrieb nicht. Meine Reklamation war erfolgreich. Ich bekam einen anderen Füllhalter. Ebenso schön. Mit Innenleben und benutzbar. Nun liegen die beiden guten und sicherlich sehr wertvollen Schreibgeräte zu Hause auf meinem Schreibtisch brach. Ich schreibe ja doch nur mit Bandzugfeder und Federstiel.
Eine große Hamburger Zeitung berichtete einmal über die Besonderheit der handgeschriebenen Briefe, die nur der Oberkellner des Luxushotels Vier Jahreszeiten schreibe. Jeder Gast, der solch einen Brief erhalte, »sei jemand« in der Stadt. Einige Tage später kam ein Vorstandsmitglied des Zeitungsverlags in den Jahreszeiten-Grill und bedankte sich für den erhaltenen Hochzeitstagsgruß mit dem Zusatz: »Jetzt weiß ich, dass auch ich zur auserwählten, elitären Hamburger Gesellschaft gehöre.«
Bei Hochzeitstagen oder wenn der Geburtstag der Gemahlin ansteht, schreibe ich immer an den Mann, mit der Bitte, seiner charmanten Frau meine besten Glückwünsche zu bestellen. Das ist vornehm! Oder: »Am Soundsovielten haben Sie mit Ihrer hinreißenden Gattin Hochzeitstag. Das will ich nicht vergessen.« In Klammern: »Sie hoffentlich auch nicht.« Oder: »Herr Bergauer, am 27. Mai haben Sie Ihre Frau kennengelernt, dazu meine besten Glückwünsche.« Herr Bergauer schrieb mir postwendend zurück: »Herr Nährig, ich danke für Ihre Glückwünsche, aber Sie irren. Am 27. Mai habe ich meine Frau zum ersten Mal getroffen, kennengelernt habe ich sie bis heute nicht.« Das gibt’s auch.
Die Herren fanden es zumeist amüsant, diese Schreiben zu bekommen, und haben Freunden und Bekannten mit Schmunzeln davon erzählt. Den einen oder anderen habe ich auch wirklich vorm Vergessen des Hochzeitstages oder Ähnlichem bewahrt. Noch einmal: Unbezahlte
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