Gern hab ich Sie bedient: Aufzeichnungen des Oberkellners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg (German Edition)
schönsten Freuden ist – auch wenn mir als gläubigem Katholik diese Art von Freude eigentlich nicht erlaubt ist. Ein Stammgast im Grill, den ich sehr mochte, ein Hamburger Immobilienhändler, war mir als Geizhals bekannt. Ich wusste, dass er sehr wohlhabend war. Bei Tisch verlangte er jeden irgend erdenklichen Extraservice; extra honorieren wollte er aber nicht. Er hatte sozusagen ein Portemonnaie aus Maulwurfsleder – es hat nie das Tageslicht gesehen. Für mich war es in Ordnung, ich hatte mein erwähntes Prinzip. Eines Abends, es war um die Weihnachtszeit und er hatte wieder alle Möglichkeiten des Service ausgeschöpft, wollte er mir nun doch einen Obolus zukommen lassen. Er suchte in seinem Portemonnaie nach einem Zwanzigeuroschein, fand aber nur Zweihunderter. Das war ihm zum Verschenken natürlich viel zu viel. Er druckste herum, wusste nicht, wie aus seiner Bredouille herauskommen. Weil er aber eine gute Freundin dabeihatte, eine Architektin, vor der er gerne den Krösus gab, mochte er keinen Rückzieher machen und gab mir schließlich, mit bittersüß-schmerzlichem Lächeln, die zweihundert Euro.
Ähnlich verhielt es sich auch mit einer bekannten Hamburger Kauffrau. Regelmäßig kommt sie mit etwa zehn bis fünfzehn Personen zum Mittagessen in den Grill und beansprucht dabei höchst intensiven Service, sozusagen »über Gebühr«. Das ist ihr gutes Recht, darum kommt sie schließlich auch ins Hotel Vier Jahreszeiten. Sie ist aber davon überzeugt, dass es genug ist, wenn sie ihre Rechnung bezahlt und dem Oberkellner, also mir, zwei bis fünf Euro in die Hand drückt. Zumal es ja nicht sein muss – ich bediene sie doch auch »um Gottes Lohn«. Ihr Mann allerdings, eine höchst liebenswerter, stiller, kultivierter Zeitgenosse, der um das Manko seiner hochgeschätzten Gemahlin wusste, gab dem Kellner beim Weggehen jedes Mal etwas extra – dies aber stets so, dass seine Frau es nicht sehen konnte. Und dann heißt es andauernd, es gäbe keine Kavaliere mehr!
Immer wieder habe ich, besonders von Stammgästen, mein »Trinkgeld« auch in Form von kleinen oder größeren Geschenken erhalten. Unvergesslich bleibt mir eine edle Geste des Hamburger Kaufmanns Dierk Cordes. Anlässlich seiner Mittagsmahlzeiten mit seiner charmanten Gattin führten wir, weit über die eigentliche Servicearbeit hinaus, viele Gespräche über allerlei Dinge. Er hat einen feinen, geistreichen Humor, und so war es für mich immer höchst vergnüglich, mit den Eheleuten zu parlieren. Klagte ich zum Beispiel, dass ich, wenn ich abends noch Kaffee trinke, nicht schlafen kann, antwortete er prompt: »Bei mir ist es genau umgekehrt, wenn ich schlafe, kann ich keinen Kaffee trinken.«
Eines Tages kam das Gespräch auf Fernsehapparate. Er erzählte mir, dass er anlässlich einiger Umbauarbeiten in seiner Villa verschiedene modernste Fernseher installieren ließe. Ich berichtete von meinem Gerät – ein riesiger Würfel, weit über zwanzig Jahre alt. »Na«, sagte er mit seinem typischen gelassenen Sarkasmus, den ich sehr vermissen werde. »Da wird er ja bald im- oder explodieren. Hoffentlich sind Sie dann im Dienst und nicht zu Hause, denn wer sollte mich sonst so aufmerksam bedienen, wenn Sie nicht mehr sind?« Eine Woche später rief ein Elektrofachgeschäft bei mir an: »Herr Nährig, für Sie ist hier ein neues Fernsehgerät bestellt, wann dürfen wir liefern?« Das ist Hamburger Understatement. Nobel. Verstecktes Trinkgeld.
Eine andere, ungleich weniger noble Form von »verstecktem Trinkgeld« habe ich auch einmal erlebt. Eine Gesellschaft von etwa zehn Herren kam sporadisch von auswärts auf ein schönes Abendessen mit anregenden Gesprächen in den Grill. Es waren allesamt gebildete, sehr wohlsituierte Herren aus Wirtschaft und Politik. Sie tranken und aßen gut und gern. Und wurden von mir bevorzugt behandelt. Ich gab sozusagen immer »noch einen drauf«.
Die geselligen Herren waren, wenn sie zechten, die letzten Gäste. Sobald sie gegangen waren, konnten wir, das Personal, unsere Schlussarbeiten erledigen. Einmal kam, kaum waren die Herren weg, einer wieder zurück. Mit den Worten »Herr Ober, ich habe meine Tasche vergessen« begab er sich zum Tisch, der sich in einer Ecke befand. Der Tisch war noch so, wie er verlassen worden war; noch nicht abgeräumt. Ich konnte ihn von meinem Empfangspult gerade noch einsehen. Mit einem Mal höre ich ein Geklirre und Geklimper und stelle fest, dass der feine Herr den sogenannten Zahlteller
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