Gern hab ich Sie bedient: Aufzeichnungen des Oberkellners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg (German Edition)
Sohn Edgar wirft mir einen Blick zu, der nicht gerade danksagend anmutet. Verständlich. Oberkellner Kröger glücklicherweise außer Sichtweite. Ich stand angewurzelt da, wie ein begossener Pudel – was, genau genommen, doch eigentlich eher die Dame war. Abwechselnd blass und rot, fahrige Bewegungen machend, die suppengetränkte Frau Nordmann im Auge. Sie mich auch. Hatte mich fest im Visier. Diese Sekunden entschieden über meinen weiteren Berufsweg. Jeden Moment konnte das Gepolter losgehen.
Es passierte – nichts. Absolute, unerträgliche Stille. Wie Frau Nordmann sahen auch alle Anwesenden mein versteinertes Gesicht.
Dann geschah ein kleines Wunder. Mein stilles Stoßgebet wurde erhört. Sie schenkte meinem erbärmlichen Zustand ein Lächeln und sagte in feinem Hamburgisch: »Na ja, das kann ja mal passieren.« Das war’s. Auch Edgars Gesicht entspannte sich. Meine Stellung war gerettet. Von jenem Tag an war mir Frau Nordmann wohlgesonnen. Ich hatte eine »Freundin« auf Lebenszeit. Dieses Wohlwollen übertrug sich auch auf ihre Kinder, im Besonderen auf Sohn Edgar, groß, stattlich und schlank noch heute, nur der Bart ist ab.
Im Laufe der Jahre, es sind nun fünfunddreißig, hat sich zwischen uns ein Verhältnis entwickelt, das von gegenseitiger Achtung und der Wertschätzung des jeweiligen Tuns geprägt ist. Seine Korrektheit bei gleichzeitiger Lebensleichtigkeit, sein philanthropisches Denken, sein Sinn für Genuss und vor allem sein feiner Humor haben mich stets beeindruckt. In den gesteigerten Genuss all dieser guten Eigenschaften kam ich, als ich vor einigen Jahren eine Einladung zu seinem runden Geburtstag erhielt. Zudem darf ich mich jährlich zur Weihnachtszeit einer von seiner liebenswürdigen Gattin immer mit viel Liebe ausgesuchten Gabe erfreuen. Das ist vornehmer Edelsinn. Nicht mehr allzu sehr verbreitet. Solche Gunstbezeigungen sind für einen Oberkellner die eigentlichen Auszeichnungen, Würdigungen, Orden – Orden, die man nicht anstecken kann, die man nicht sieht, die mich aber im Herzen schmücken und berühren. Für immer. Dafür bin ich sehr dankbar!
Der »Rosenkavalier« und mein vorlautes Mundwerk
In einem anderen Fall, ebenfalls zu Beginn meiner Zeit im Hotel Vier Jahreszeiten, war es weniger körperliche als verbal-akustische Ungeschicktheit, die mich in Schwierigkeiten brachte. Sonntagmorgen. Ich hatte Frühstücksdienst. Das bedeutete, um fünf Uhr früh aufstehen. Am Abend vorher hatte ich einfach nicht einschlafen können und daher eine Schallplattenaufnahme von Strauss’ Rosenkavalier gehört. Das sonntägliche Frühstück zog sich immer lange hin. Am Tag des Herrn geruhen die Gäste, sich später zu erheben, und lassen sich auch länger Zeit, das reichhaltige Frühstück zu genießen. Wurst, Käse und Fischspezialitäten wie Büsumer Krabben und verschiedene Lachsvariationen wurden auf einem oder auch zwei fahrbaren Kühlwagen zum Tisch gebracht, wo dem Gast nach seinen Wünschen davon serviert wurde. Das Büffet kam sozusagen zum Gast. Das war in den Siebzigern ganz einmalig, gab es in keinem anderen Hotel in Deutschland. Es war schon elf Uhr vorbei, und wir mussten das Restaurant nun wieder für den Mittagstisch vorbereiten, für zwölf waren die ersten Gäste avisiert. Endlich, der letzte Tisch, eine Familie mit vier Kindern, steht auf, um zu gehen. Die Mutter als Erste, die Kinder ganz gesittet im Gänsemarsch hinterdrein und zuletzt der schon recht dicke Vater. Gott sei Dank, sie sind draußen!
Jetzt müssen wir uns sputen, um mit den Aufräumarbeiten fertig zu werden. Im Kopf geht mir immer noch der Rosenkavalier vom Vorabend herum, und von guter Laune geritten stimme ich die Arie der Marschallin an: »Da geht er hin, der aufgeblasene schlechte Kerl, und kriegt das junge hübsche Ding und einen Pinkel Geld dazu.«
Da geht die Tür auf, der dicke Vater kommt wieder herein und fragt, etwas launisch: »Meine Frau ist zwar hübsch, aber alt, Geld hab ich genug, dick bin ich auch, aber ein schlechter Kerl bin ich nicht, wie war das denn gemeint?«
Oh je, das war nicht gut!
Zum Mittagessen kam August Everding, der damalige Intendant der Bayrischen Staatsoper, ins Restaurant, und ich habe ihm erzählt, in welch missliche Lage mich mein Gesang gebracht hat. Er hat sich darüber halb totgelacht. Dank dem verständnisvollen dicken Vater, der in der Tat kein schlechter Kerl war, kam ich glücklicherweise mit einem blauen Auge davon.
Übermut tut selten gut.
Mein
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