Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Titel: Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gernhardt
Vom Netzwerk:
und Worte stöhne,
    nie gehört. Dann geht die Post ab:
    Aus dem Nebenzimmer stürzen
    sieben Amis, breit wie Bären,
    alle in den gleichen Jacken,
    alle mit der gleichen Aufschrift,
    alles Judo-Fighter. Alle
    sind nur zu bereit zu fighten,
    alle rauf. Wir andern warten.
    Hören erst mal nichts, dann Flüche,
    Klatschen, Winseln, Poltern. Dann ein
    Schrei, so markerschütternd elend,
    daß sich jedes Haar sträubt. Alle
    schaun wir aus der Tür und sehen,
    wie da wer im trüben Licht der
    Toilette schreit. Im Halbkreis,
    fast verlegen, steht die Meute,
    deren Anführer zurückblafft.
    Alles Amis, auch der Schreier,
    offenkundig Opfer eines
    derart übergroßen Schreckens,
    daß er selber schreckt. Beklommen
    treten wir zurück. Im Gastraum
    herrscht erst Schweigen. Dann sagt einer
    was von Drogen. Und ein andrer
    was von Horror. Und ein dritter
    will ein Helles. Und dann läuft der
    Film zurück: Die Amibären
    kommen wieder rein, verschwinden
    nebenan. Ein Krankenwagen
    holt wen ab, und als er heulend
    losfährt, weiß ich unvermittelt,
    wie das hieß, was selbst im trüben
    Licht der Toilette unschwer
    zu erkennen war, schwarz-rote
    kleine Karos, großer Kragen:
    Lumberjack ! Ja, noch ein Helles!
    - Und weiter?
    - Was weiter?
    - Laß dich nicht bitten.
    - Worum?
    - Worum wohl?
    Um Ansbach zum dritten.
    75 war ich wieder in
    Ansbach.
    Nicht allein, ich führte nämlich durch
    Ansbach.
    Doch statt des gesuchten Mordsteins von
    Ansbach
    fand ich eine Säule, die war echt
    goldig:
    UZ
    Dem Weisen
    Dem Menschenfreunde
    Seine Verehrer
    1825
    Uz – wer war denn das schon wieder?
    Reimte der nicht treu und bieder,
    ein Paradepferd der Richtung
    sittlich reifer Schäferdichtung?
    - Das tat er. Und der Stein für Hauser?
    - Den fand ich am nächsten Tage.
    - Wieso überhaupt wieder Ansbach?
    - Das ist etwas, was ich mich ebenfalls frage:
    Nach Ansbach fährt man nicht,
    Ansbach widerfährt einem.
    Der noch vor Stunden sagte
    »Auf keinen Fall Ansbach«,
    erinnert sich beim Aussteigen:
    Da drüben bin ich damals abgestiegen.
    Der nur drei Schritte gehen wollte,
    gerät schrittweise ins Suchen:
    Irgendwo steht doch dieser Hauser-Stein!
    Der einst in Ansbach gelitten hat,
    will es nun gut haben:
    Laß uns hier übernachten!
    - Frankenfahrt mit der Geliebten!
    Ringsum Juni! Ging es da nicht
    geradewegs durch alle Himmel
    in den herrlichsten, den siebten?
    Der geradeste Weg ist manchmal der Umweg.
    Für schwache Stunden muß man sich stärken.
    Doch war jener Herr an der Seite der Dame
    nicht ganz bei der Sache:
    Der die Schöne beim Hauptgericht beriet,
    dachte schon an den Nachtisch.
    Der mit der Lachenden die Nachspeise teilte,
    freute sich bereits auf den Heimweg.
    Der zum Gehen drängte
    - Fieberte dem Bett entgegen?
    Das war nicht so einfach
    ins Bett zu gelangen.
    Erst ging's übern Platz,
    da stand dieses Pärchen.
    Da floß rotes Blut,
    das tropfte von seinem
    Kopf auf ihr Kopftuch.
    Sie hielt ihn, er stöhnte.
    Da war was geschehen
    - Ein Unfall?
    - Ein Unheil.
    Der Anfang vom Ende.
    - Weshalb das?
    - Ganz einfach.
    Wir kamen nicht vorwärts:
    Sie wollte hinsehn
    Ich wollte wegsehn
    Sie wollte warten
    Ich wollte gehen
    Sie wollte wissen
    Ich wollte weiter
    Sie wollte helfen
    Ich wollte sie
    - Und sie?
    - Sie schalt mich herzlos.
    - Und du?
    - Ich schalt sie lieblos.
    - Und die?
    - Verschwanden spurlos.
    - Und ihr?
    - Wir wurden uns los:
    Die zuvor ein Herz und eine Seele gewesen waren,
    waren danach wie Hund und Katze.
    Die gemeinsam zu Tisch gesessen hatten,
    suchten getrennt das Bett auf.
    Die es ersehnt hatten, sich ineinander zu verschränken,
    lagen nebeneinander wie Stöcke.
    Denen die Nacht zu kurz erschienen war,
    konnten den Morgen kaum erwarten.
    Die einander nie hatten aus den Augen lassen wollen,
    verabredeten, heimgekehrt, kein Wiedersehen.
    - Das war es?
    - So ist es.
    - Kein Nachwort?
    - Ein Nachtrag:
    Bin seit heute Mittag wieder in
    Ansbach
    Fror ein wenig, denn es schneite auf
    Ansbach.
    Plötzlich auf dem Rundgang durch
    Ansbach
    fühlte ich mich irgendwie
    traurig:
    Marktplatz, Altstadt, Parkanlagen,
    Platen, Uz und Kaspar Hauser,
    alles da und trotzdem alles
    so verändert. Schrecklich bieder
    all die Bürger. Kein Gehetzter
    geistert durch der Einkaufszone
    grellen Frohsinn. Keine Trauer
    lähmt die Kreglen. Kein Geheimnis
    stört die Trinität der Dumpfen:
    Friede, Freude, Eierkuchen.
    - Jetzt haben wir es dem Bürger aber gegeben!
    - Er wird's überleben.
    - So, wie wir es überlebt haben?
    -

Weitere Kostenlose Bücher