Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006
Um vom Brecht zu lernen,
muß man sich soweit wie möglich vom Brecht entfernen.
Der Brecht hat die Bücher der Klassiker immer mit großer Sorgfalt gelesen
und ist gerade deshalb nicht vor ebenso großen Irrtümern gefeit gewesen.
Wäre es nicht zur Abwechslung auch mal gutzuheißen,
all die Schriften nicht zu verhimmeln, sondern auf die Erde zu schmeißen?
Macht also ruhig weiter. Die brauchbaren werden das schon überstehn.
Und dann laßt uns einen Whiskey kippen und eine Henry Clay rauchen gehn.«
Lied von linkischen Amis
Linkische Amis,
als schämten sie sich, auf der Welt zu sein.
Wie linkisch sie Trinkgeld geben!
So ganz ohne Großmachtallüren.
Anderswo, unter wärmerer Sonne,
gibt es Leute, die sterben,
wenn sie mit linkischen Amis
zusammentreffen.
(Linkische Amis,
man darf sie nur nicht auf die Tropen loslassen.
Linkische Amis,
man kann sie aber ruhig zum Italiener schicken.)
Hier, mitten in Frankfurt,
sterben sie selbst fast tausend Tode,
hilft der Ober in die Wintersachen
linkischen Amis.
Fliegengedicht
In dieses Volk hineingeborn -
was hab ich in dem Volk verlorn?
In diesem Volk, wo morgens die Getretenen
ihrem Spiegelbild schwören: Schluß mit dem
Stiefellecken, heute müssen Köpfe rollen
Schluß Schluß Schluß
In diesem Volk, wo mittags der Glanz der
frischgeleckten Stiefel all diejenigen blendet,
die sich die Visagen der Treter einprägen wollen
Glanz Glanz Glanz
In diesem Volk, wo abends die randvollen Gläser
die Angst der Köpfe der Getretenen vor dem
Rollen auslöschen sollen
Angst Angst Angst
In diesem Volk bin ich daheim.
So spricht die Fliege auf dem Leim.
Als er zum 3 . Oktober 1990 gefragt
wurde, was er von Deutschland
erwarte und was er dem vereinten
Land wünsche
Deutsche! Frei nach Bertolt Brecht
rate ich euch, wählet recht:
Von den Zielen die wichtigen
Von den Mitteln die richtigen
Von den Zwängen die spärlichen
Von den Worten die ehrlichen
Von den Taten die herzlichen
Von den Opfern die schmerzlichen
Von den Wegen die steinigen
Von den Büchern die meinigen.
15. 1 . 91 – der Tag, an dem
as Ultimatum ablief
Das Hörnchen war gut
wie schon lange nicht mehr
Der Kaffee war stark
wie schon lange nicht mehr
Der Himmel war blau
wie schon lange nicht mehr
Die Sonne schien hell
wie schon lange nicht mehr
Ich ging so beschwingt
wie schon lange nicht mehr
Ich war so verzückt
wie schon lange nicht mehr
Ich schrieb so erfüllt
wie schon lange nicht mehr
Ich sah so berückt
wie schon lange nicht mehr
Die Sicht war so klar
wie schon lange nicht mehr
Der Berg war so rot
wie schon lange nicht mehr
Der Abend war schön
wie schon lange nicht mehr
Die Sonne versank
wie lange nicht mehr.
Die Verleihung
des Kränkungspokals
vom 3 . 7 . 1993
Dachte am Vormittag noch: Den krieg' ich.
Wußte am Nachmittag schon: Nicht heute.
Tiefere Kränkung als ich erlebte
an diesem Samstag Jana Novotna.
Führt vier zu zwei im Dritten und hat schon
mit sechs zu eins den Zweiten im Sack,
muß also nur noch zuschnürn, da ist sie
nervlich total fix und foxi,
sagt erst der Sprecher, dann seh' ich es selber:
Doppelfehler die Menge, der Aufschlag
läßt sie im Stich, die Volleys verschlägt sie -
hoch reißt die Arme beim vier zu sechs jene,
die schon geschlagen schien, Miss Graf, die Steffi.
Unsere Steffi! Stolz hob sie die Schale,
aber als zweite. Erst kriegte ihr Schälchen
Jana Novotna. Ihr flossen die Tränen
bei dessen Anblick: »Ach Schälchen so winzig,
sollst du auch zu mir, ich will doch die Schale.
Kann die nicht mein sein, so möchte ich sterben.
Hier nach dem Endspiel, hier auf dem Rasen
des Centre Courts, hier in Wimbledon. Bitte
laßt mich in euren Armen verscheiden,
Herzogin!« Aber vom Weinen alleine
ist bisher niemand gestorben, da braucht's schon
was in den Rücken, wie neulich in Hamburg.
Denkt an den Stich, hat die sich denn seither
wieder gemeldet? Und war doch die Erste,
Monika Seles, bevor der Typ zustieß,
einer aus Naumburg in eine vom Balkan,
damit unsre Steffi wieder die Eins wird,
was sie auch wurde. Was lernen wir daraus?
Dies vielleicht: Jana stünde es gut an,
nicht so zu weinen, gestützt von den Armen
der Duchess of Kent. Und unserer Steffi
stünde es sehr gut an, nicht so zu jubeln,
sondern der Monika still zu gedenken,
der Armen. War Nummer Eins und ist jetzt
das Letzte. Hat so gestöhnt und ist jetzt
die Stillste. Ist zwar am Leben, doch ist das
ein Leben?
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