Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006
Schotter
Nicht hinsehn
Ich wußte natürlich auch so schon genug
So schnell vergißt man ja so ein Hemd nicht
Drei Kreuze
Ein Glück, daß da all die anderen standen
Da wird ihn schon jemand verarztet haben
Im Fall der Fälle
Und selbst wenn das alles nur Schaulustige waren
Auch ich wäre wirklich keine Hilfe gewesen
Fuhr also weiter:
Fuhr vorbei und hielt nicht an
bei dem mitgenommnen Mann.
Ach ja? Und Sie hätten angehalten?
Schon zu Beginn? Und ihn einsteigen lassen?
Alle Achtung, Sie Samariter!
Das kann doch vor Gott nicht verborgen geblieben sein
Da wird man ja demnächst gratulieren dürfen
Zu Ihrer Heiligsprechung.
Innsbruck – Zürich
Eine Winterreise in zehn Stationen
1
»Innsbruck, ich muß dich lassen« -
der das sang, ist längst verschollen.
Folge ihm, ohne zu hadern.
Wer muß, hat nichts zu wollen.
2
»Wir erreichen als nächsten Halt Ötztal« -
vertrau ihr nicht, dieser Stimme.
Denn stets verspricht sie nur Gutes.
Und immer verschweigt sie das Schlimme.
3
Auf dem Bahnhofsgebäude steht Landeck.
Das Elend hat viele Namen.
Für die eine nennt es sich »Herren«.
Für den andern schreibt es sich »Damen«.
4
St. Anton quillt über von Lügen.
Verstellungen locken zum Bleiben.
Das geht so weit, daß die Wirte
statt Mordhotel »Sporthotel« schreiben.
5
Vom Arlberg steigen die Tannen
hinunter zum Bahnhof von Langen.
Wer aussteigt, ist ihnen geliefert.
Wer weiterfährt, bleibt gefangen.
6
Wirf ja keinen Blick auf Bludenz.
Bludenz ist was für später.
In Bludenz enden die Opfer.
Du aber bist, noch, Täter.
7
Verdächtig viel Weiß in Feldkirch.
Das Weiß hier kommt nicht von Herzen.
Wer bliebe und kratzte, versänke
in abgrundtief finsteren Schwärzen.
8
»Wir erreichen Buchs/St.Gallen.«
Schau lieber nicht aus dem Fenster.
Alle, die's taten, sind heute
hier Bahnhofs- und Stellwerkgespenster.
9
»Der nächste Halt ist Sargans.«
Sargans wirkt ausgestorben.
Kein Mann, keine Frau, kein Kind:
Der Tod hat sie abgeworben.
10
»Wir erreichen in Kürze Zürich.«
Da schlägt die Falle zu.
In Zürich warten die Mäuse.
Der Käse aber bist du.
Mühlheim/Main-Blues
Tiefkühl-Strudel in Mühlheim
Jetzt weiß ich, was Hölle ist
Aufgetischt von soner aufgedotzten Lehrerin
In sonem verhärmten Formaldehyd-Haus–:
Bist du da auch runtergestiegen, Jesus Christ?
Sprühdosensahne auf Nescafé
Ich halt' mich mit Mühe wach
In dieser patenten Freudlosigkeit
Bei diesem heillosen Gerede–:
Kannst du die Wahrheit vertragen, Jesus?
Du, Christus, kamst nur bis Offenbach.
Dichtermann in Dortmund
Dichtermann steuert Dortmund an
Dortmund erschauert im Novemberregen
Unerkannt landet Dichtermann im Hauptbahnhof
Nur ein Kind klammert sich an seine Mutter:
»Da! Dichtermann!«
»Red keinen Unsinn! Zu uns kommen keine Dichter!«
Dichtermann düst durch Dortmund
Er blickt in die Herzen der Menschen
Doch statt in Abgründe sieht er in Löcher
Nur aus einem schießt eine Flamme:
»Uschi! Ich vergehe nach dir!«
»Was soll dieser Quatsch, Karl? Wir sind hier in Dortmund!«
Dichtermann dauern die Dortmunder
Weit und breit kein dritter Gerechter
Das heißt: Die Stadt ist praktisch gerichtet
Schon will Dichtermann das Urteil sprechen:
»Verdammt seist du, Dortmund« -
»Höret!« unterbricht ihn die Stimme.
Dichtermann geht der Stimme nach
Die Stimme ertönt in der Fußgängerzone
Die Stimme gehört einem nassen Mann
mit eisgrauem Bart und kindlichen Augen:
»Dortmunder höret!
Herr Matinka darf mir diese Befehle weitergeben.
Nach mir gibt es keinen zweiten Berufsausgeber.
Es erfolgt dann sofort die zweite Ausrottung
aller Vermehrungen überall
aller 4000 Gruppen.
Personenzahl ist Gruppe
und das ist Partei.
Wann ist das Wort sofort?
(Die Banditen schießen ganz schön.)
Stellt euch vor, ihr wollt weiterleben.
Wenn nicht sofort, seid ihr tot.
In der Wüste arbeiten die im Adam und Eva.
Die gehorchten nicht auf dem Hauptmann und
waren andere.
Die Beigetretenen bei Herrn Matinka
bekommen von mir Befehl
über diese Weitergabe
von Herrn Matinka.
Die treten bei als diese Kirchen
und die Parteien
die sie schon sind.
Die Beitritte müssen jetzt
erfolgen zu Herrn
Matinka.«
Dichtermann kniet im Novemberregen
Herr Matinka hat von ihm Besitz ergriffen
Dessen Jünger da hat in Zungen geredet
In der Fußgängerzone spricht Dichtermann das Schlußwort:
»Dortmund! Bist nicht gerichtet, bist gerettet!
Dortmund! Gebenedeit
Weitere Kostenlose Bücher