Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006
Was?
- Das Älterwerden des Knaben.
- Wen meinst du mit diesen Reden?
- Na wen wohl? Niemand und jeden:
Jung erschien die Welt ihm so schaurig,
so schrecklich, geheimnisvoll, traurig.
Doch Geheimnis, Schrecken und Schauer
war'n in ihm und daher nicht von Dauer.
Heut verspeist er fröhlich und friedlich
seinen Eierkuchen. Man sieht sich?
- Du mußt schon weiter?
- Ich will nicht mehr stören.
- Man sieht sich in Ansbach?
- Wir sehn uns doch dauernd.
- Ich war nicht zu nervend?
- Du warst schon mal schlimmer.
Viel Glück bei der Lesung!
- Danke. Ich brauch's nicht.
III
Unter Geiern
Halkyonische Streiktage
Die Post streikt -
die Beleidigungen bleiben auf der Strecke.
Das Telefon ist defekt -
die Störungen kommen nicht durch.
Verkehrsinfarkt -
im Stau auch der Besuch.
Der Müll stinkt -
keine Rose ohne Dornen.
Alles über RM
Robert Multikulti geht
dahin gern, wo »Döner« steht.
Döner, sagt er, schmeckt mir fein,
da darf's auch vom Türken sein.
Robert Multikulti hat
jene Sorte Fremde satt,
die ihm zu verstehen gibt,
daß sie alles Deutsche liebt.
Robert Multikulti ist
tendenziell, sagt er, Rassist,
da er seine eigne Rasse
oft und gern und gründlich hasse.
Robert Multikulti meint,
Deutschland sei genug vereint:
Dreimal werden wir noch wach,
heißa, dann ist Trennungstag!
Robert Multikulti hält
nicht viel von dem Rest der Welt.
Schließlich, stellt er seufzend fest,
leb' ich ja in diesem Rest.
Die Stürmung der Stadtbücherei
von Fort Worth
Die Presseagentur Reuters meldet: Etwa fünfhundert Besucher haben die Stadtbücherei von Fort Worth/Texas gestürmt und die gesamte Belletristik-Abteilung verwüstet, da der Discjockey des Lokalsenders KYNG die gutgemeinte Falschmeldung verbreitet hatte, in den Büchern seien zur Hebung der Leselust Banknoten als Lesezeichen versteckt worden.
Beim Sender KYNG in Fort Worth gab es einen, den's reute,
daß die Leute immer nur Radio hörten. Daher sagte er: »Leute,
es gibt auch so was wie innere Werte,
ich nenn' euch jetzt mal 'ne ganz heiße Fährte:
In den Büchern der Stadtbücherei von Fort Worth findet ihr Lesezeichen,
mit denen lassen sich alle Außenstände begleichen.«
Diese Nachricht machte ziemlich schnell die Runde.
Sie ging besonders bei den Tramps und den Arbeitslosen von Mund zu Munde.
Denn die hatten grad Zeit und sagten sich: Anstatt wie die Ratten
hier rumzuhängen, können wir ebensogut unserer geliebten Stadtbücherei einen Besuch abstatten.
Die ihr das lest in eurem Lesezimmer,
denkt nicht: Wie schlimm! Es kommt noch schlimmer!
Bedenkt: Wie schlecht muß es um solche Menschen stehn,
wenn die aus freien Stücken in eine Stadtbücherei gehn!
Kurz darauf herrschte in der Belletristik-Abteilung schon ein ziemliches Gewühle.
Die massenhaft eingetroffenen Leseratten nämlich scherten sich nicht um Tische und Stühle,
sie überprüften ihre Lektüre direkt auf den Regalen,
und diese Untersuchungen führten zu eindrucksvollen Zahlen:
Circa 3000 Exemplare der sogenannten »Schönen Literatur«
lagen schließlich am Boden. Von manchen waren nur
noch Deckel und Rücken übriggeblieben,
den Rest hatten die Literaturforscher aufgerieben,
als sie um die Ehre stritten,
wer Dickens überprüfen dürfe und wer Bulwer-Lytton.
Die ihr das lest in euren Lektüre-Kabinetten,
denkt nicht: Sind die in Texas noch zu retten?
Bedenkt lieber: Was wäre die Folge gewesen,
hätten die die Bücher nicht nur gefleddert, sondern auch gelesen?
Dann hätten sie womöglich die Gedichte eines Bert Brecht in die Hände bekommen,
und der hätte die Arbeitslosen ganz schön in die Mangel genommen:
»Anstatt hier die Stadtbücherei von Fort Worth zu versauen,
solltet ihr lieber lernen und den Kommunismus in Texas aufbauen.
Sodann in Arizona. Und endlich in den Vereinigten Staaten.«
Und stellt euch vor, diesen Worten wären Taten
gefolgt, weil die Verdammten von Fort Worth eingesehen hätten:
»Der Mann hat ja recht! Nur der Kommunismus kann uns noch retten!
Kommunismus oder der Tod!
So oder so: Der Westen wird rot!«
Ja, da erblaßt ihr vor euren Bücherwänden.
Deshalb lasse ich die Angelegenheit lieber glimpflich enden.
Denn 1994 pflegt man hier auf Erden -
anders als 1934 – die Suppen nicht so heiß zu essen, wie sie gekocht werden:
Ich lasse also Brecht unter die Brecht-Leser von Fort Worth treten
und sagen: »Ich hätte gern um etwas mehr Respekt vor der Dialektik gebeten.
Und die lehrt nun mal:
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