Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006
unter den Städten!«
Intercity
Abend in Kiel
Als mein Blick auf Kiel fiel,
war da sehr viel Grau.
Graue Häuser, graue Menschen,
worauf ich nicht dumm
mich ins Bett begab im neunten
Stockwerk des Hotels:
Vorhang zu, Augen zu,
darum, daß der Blick
nicht mehr auf die Welt fällt.
Ach, wie Nichtsehn gut tut!
Morgen in Unna
Fronleichnamsmorgen in
Unna:
ein Super-Tip für
Genießer.
Die Häuser alle schon
draußen
und in ihnen all die
Spießer.
Verkatert
verbiestert
verschlafen
überläßt dieser Haufen von
Ratten
seine Stadt samt Straßen und
Plätzen
dem Fremden und seinem
Schatten.
Vor Flensburg
Saß ein Mädchen in der Bahn
Nichts daraus gemacht
Lächelte mich freundlich an
Nichts daraus gemacht
Sprach: Es müßte dir doch glücken
Mich vor Flensburg noch zu pflücken
Und sie hat gelacht
Nichts daraus gemacht.
Hinter Flensburg
Was misch dorsch Holstein düse läßt,
hält misch aach net in Schleswisch fest:
Isch düse dorsch sie beide.
In Kobbehache warded sie,
Fraa bis zur Musch
un Fisch ab Knie,
die kann isch so gud leide.
Geb Gott, sie hatn net vergesse:
Ihrn gude aale Schorsch aus Hesse!
Halt im Frankenland
Wolken wie mit dem Besen gemalt,
weiße Schlieren in nassem Silber,
dann aber alles sehr rasch getrocknet:
Stünde das Laubwerk sonst derart präzise,
dermaßen dunkel vor den Verläufen,
dies Filigran in sanfter Bewegung,
eilig schraffiert von verspäteten Vögeln?
Durch Schwaben
Fliegender Wechsel
Eine Pracht folgt der anderen
Gestern blühte der Weißdorn
Heute blüht der Holunder
Eingebettet in fette Fülle
So lieb' ich den Waldrand
Undurchdringlich bedeutsam
Heute blüht der Holunder
Morgen leuchtet die Kirsche
Rot wie das Reh dort
Alles Schöne stimmt sanft
Eine Nacht folgt der andern
Abends schau' ich dem Reh zu
Morgen schnurrt wohlig die Katze
Zu meinen verbindlichen Lügen.
Reiher an der Bahnstrecke Augsburg-Ulm
Der Reiher auf dem Eise steht.
Ahnt er, wohin die Reise geht?
Friert der nicht auf dem Weihereis?
Ich weiß es nicht. Der Reiher weiß.
Im Frühling lag der Weiher bloß.
Die Zeit macht nicht nur Reiher groß.
Im Sommer war der Weiher blau.
Die Zeit macht nicht nur Reiher grau.
Im Herbst war's um den Weiher rot.
Die Zeit macht nicht nur Reiher tot.
Im Winter stimmt der Weiher ernst.
O Mensch, der du vom Reiher lernst,
bedenke: Was der Reiher lehrt,
ist nicht mal einen Dreier wert.
Bussard an der Bahnstrecke Ulm-Augsburg
Der Bussard ist ein stolzes Tier,
bei Jettingen liegt sein Revier.
Dort sitzt er schwer im welken Gras,
weil er, vermute ich, schon fraß.
Ich blick auf ihn vom ICE
und denk an die, die ich nicht seh,
An Mäusevater, Mutter, Kind,
die alle in dem Bussard sind.
Und stumm entbiete ich dem Tier
ein eiliges »Hallo, ihr vier!«
Durch Niederbayern
Himmel sind weiter hier
Kirchtürme öfter
Wiesen sind grüner hier
und Tiere weißer.
O junges Schaf! Im Gras
stehst du, ich fahre.
Dich lockt das frische Grün,
mich reife Schuld.
O schöne Frau! Die Stadt
kennt andre Weiden.
Läßt du ihn noch mal rauf,
den alten Hammel?
Oktoberfest
Sitzend unter den Ungeschlachten
fühl ich mich federleicht
und fremd.
Stehend am Morgen danach auf der Waage
weiß ich: Ich war unter
meinesgleichen.
Hauptbahnhof Frankfurt/Main
So soll es sein,
wenn man die Frau,
so lange nicht gesehen,
wiedersieht:
Die Träne quillt,
die Hose spannt,
das Herz wird weich und
hart das Glied.
Der Rest ist
Da geht einer durch die Städte,
der uns was zu sagen hätte,
wenn wir ihn nur ließen.
Aber da ihn keiner läßt,
sagt er nichts zu Bukarest,
und er schweigt zu Gießen.
Ein Gespräch im Hotel
»Schwarzer Bock«, Ansbach 1993
- Mal wieder auf Achse?
- Es hat ganz den Anschein.
- Mal wieder in Ansbach?
- Das läßt sich nicht leugnen.
- Zum wievielten Male?
- Ich glaube zum vierten.
- Privat? Geschäftlich?
- Ich werde hier lesen.
- Und? Alles beim alten?
- Das kann ich nicht sagen.
- Wie war es denn früher?
- Ich weiß nicht. Anders.
Erstmals kam ich 57 nach
Ansbach.
Schritt hindurch und lachte herzlich in
Ansbach.
Denn an einem Haus im Herzen von
Ansbach
las ich eine Inschrift, die war zu
putzig:
Hier entsproß
August Graf von Platen Hallermünde
Die Tulpe des Deutschen
Dichtergartens
Die Tulpe? Wer war dann die Rose?
Das Veilchen? Der Phlox? Die Mimose?
Die Lilie? Die Dahlie? Der Krokus?
Und wie hieß der Gärtner? Gott Jocus?
- Geht es dir gut?
- Ich
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