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Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Titel: Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gernhardt
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unter den Städten!«
    Intercity
    Abend in Kiel
    Als mein Blick auf Kiel fiel,
    war da sehr viel Grau.
    Graue Häuser, graue Menschen,
    worauf ich nicht dumm
    mich ins Bett begab im neunten
    Stockwerk des Hotels:
    Vorhang zu, Augen zu,
    darum, daß der Blick
    nicht mehr auf die Welt fällt.
    Ach, wie Nichtsehn gut tut!
    Morgen in Unna
    Fronleichnamsmorgen in
    Unna:
    ein Super-Tip für
    Genießer.
    Die Häuser alle schon
    draußen
    und in ihnen all die
    Spießer.
    Verkatert
    verbiestert
    verschlafen
    überläßt dieser Haufen von
    Ratten
    seine Stadt samt Straßen und
    Plätzen
    dem Fremden und seinem
    Schatten.
    Vor Flensburg
    Saß ein Mädchen in der Bahn
    Nichts daraus gemacht
    Lächelte mich freundlich an
    Nichts daraus gemacht
    Sprach: Es müßte dir doch glücken
    Mich vor Flensburg noch zu pflücken
    Und sie hat gelacht
    Nichts daraus gemacht.
    Hinter Flensburg
    Was misch dorsch Holstein düse läßt,
    hält misch aach net in Schleswisch fest:
    Isch düse dorsch sie beide.
    In Kobbehache warded sie,
    Fraa bis zur Musch
    un Fisch ab Knie,
    die kann isch so gud leide.
    Geb Gott, sie hatn net vergesse:
    Ihrn gude aale Schorsch aus Hesse!
    Halt im Frankenland
    Wolken wie mit dem Besen gemalt,
    weiße Schlieren in nassem Silber,
    dann aber alles sehr rasch getrocknet:
    Stünde das Laubwerk sonst derart präzise,
    dermaßen dunkel vor den Verläufen,
    dies Filigran in sanfter Bewegung,
    eilig schraffiert von verspäteten Vögeln?
    Durch Schwaben
    Fliegender Wechsel
    Eine Pracht folgt der anderen
    Gestern blühte der Weißdorn
    Heute blüht der Holunder
    Eingebettet in fette Fülle
    So lieb' ich den Waldrand
    Undurchdringlich bedeutsam
    Heute blüht der Holunder
    Morgen leuchtet die Kirsche
    Rot wie das Reh dort
    Alles Schöne stimmt sanft
    Eine Nacht folgt der andern
    Abends schau' ich dem Reh zu
    Morgen schnurrt wohlig die Katze
    Zu meinen verbindlichen Lügen.
    Reiher an der Bahnstrecke Augsburg-Ulm
    Der Reiher auf dem Eise steht.
    Ahnt er, wohin die Reise geht?
    Friert der nicht auf dem Weihereis?
    Ich weiß es nicht. Der Reiher weiß.
    Im Frühling lag der Weiher bloß.
    Die Zeit macht nicht nur Reiher groß.
    Im Sommer war der Weiher blau.
    Die Zeit macht nicht nur Reiher grau.
    Im Herbst war's um den Weiher rot.
    Die Zeit macht nicht nur Reiher tot.
    Im Winter stimmt der Weiher ernst.
    O Mensch, der du vom Reiher lernst,
    bedenke: Was der Reiher lehrt,
    ist nicht mal einen Dreier wert.
    Bussard an der Bahnstrecke Ulm-Augsburg
    Der Bussard ist ein stolzes Tier,
    bei Jettingen liegt sein Revier.
    Dort sitzt er schwer im welken Gras,
    weil er, vermute ich, schon fraß.
    Ich blick auf ihn vom ICE
    und denk an die, die ich nicht seh,
    An Mäusevater, Mutter, Kind,
    die alle in dem Bussard sind.
    Und stumm entbiete ich dem Tier
    ein eiliges »Hallo, ihr vier!«
    Durch Niederbayern
    Himmel sind weiter hier
    Kirchtürme öfter
    Wiesen sind grüner hier
    und Tiere weißer.
    O junges Schaf! Im Gras
    stehst du, ich fahre.
    Dich lockt das frische Grün,
    mich reife Schuld.
    O schöne Frau! Die Stadt
    kennt andre Weiden.
    Läßt du ihn noch mal rauf,
    den alten Hammel?
    Oktoberfest
    Sitzend unter den Ungeschlachten
    fühl ich mich federleicht
    und fremd.
    Stehend am Morgen danach auf der Waage
    weiß ich: Ich war unter
    meinesgleichen.
    Hauptbahnhof Frankfurt/Main
    So soll es sein,
    wenn man die Frau,
    so lange nicht gesehen,
    wiedersieht:
    Die Träne quillt,
    die Hose spannt,
    das Herz wird weich und
    hart das Glied.
    Der Rest ist
    Da geht einer durch die Städte,
    der uns was zu sagen hätte,
    wenn wir ihn nur ließen.
    Aber da ihn keiner läßt,
    sagt er nichts zu Bukarest,
    und er schweigt zu Gießen.
    Ein Gespräch im Hotel
»Schwarzer Bock«, Ansbach 1993
    - Mal wieder auf Achse?
    - Es hat ganz den Anschein.
    - Mal wieder in Ansbach?
    - Das läßt sich nicht leugnen.
    - Zum wievielten Male?
    - Ich glaube zum vierten.
    - Privat? Geschäftlich?
    - Ich werde hier lesen.
    - Und? Alles beim alten?
    - Das kann ich nicht sagen.
    - Wie war es denn früher?
    - Ich weiß nicht. Anders.
    Erstmals kam ich 57 nach
    Ansbach.
    Schritt hindurch und lachte herzlich in
    Ansbach.
    Denn an einem Haus im Herzen von
    Ansbach
    las ich eine Inschrift, die war zu
    putzig:
    Hier entsproß
    August Graf von Platen Hallermünde
    Die Tulpe des Deutschen
    Dichtergartens
    Die Tulpe? Wer war dann die Rose?
    Das Veilchen? Der Phlox? Die Mimose?
    Die Lilie? Die Dahlie? Der Krokus?
    Und wie hieß der Gärtner? Gott Jocus?
    - Geht es dir gut?
    - Ich

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