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Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Titel: Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gernhardt
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siehste sie plötzlich, diese Gestalt
    und du fragst dich: »Wo kommt die Gestalt her?
    Mensch, die ist doch kein Falter!«
    Und dann folgst du ihr doch
    mit verstummendem Mund
    und…
    Folgen der Trunksucht
    Seht ihn an, den Texter.
    Trinkt er nicht, dann wächst er.
    Mißt nur einen halben Meter -
    weshalb, das erklär ich später.
    Seht ihn an, den Schreiner.
    Trinkt er, wird er kleiner.
    Schaut, wie flink und frettchenhaft
    er an seinem Brettchen schafft.
    Seht ihn an, den Hummer.
    Trinkt er, wird er dummer.
    Hört, wie er durchs Nordmeer keift,
    ob ihm wer die Scheren schleift.
    Seht sie an, die Meise.
    Trinkt sie, baut sie Scheiße.
    Da! Grad rauscht ihr drittes Ei
    wieder voll am Nest vorbei.
    Seht ihn an, den Dichter.
    Trinkt er, wird er schlichter.
    Ach, schon fällt ihm gar kein Reim
    auf das Reimwort »Reim« mehr eim.
    Die Sache will`s
    Ach was, es geht mir nicht um mich,
    im Vordergrund steht nicht mein Ich,
    es geht mir um die Sache.
    Die Sache ist: Ich fühl mich krank,
    ich brauche einen Besenschrank
    und 99 Besen.
    Sowie 200 Liter Klops
    und 70 Kilometer Drops,
    doch bitte handverlesen.
    Auch hätt' ich gern die Kaiserkrone,
    mit der will ich mich unten ohne
    am Weihnachtstag dem Volke zeigen,
    dazu soll'n 100 000 Geigen
    das Lied vom treuen Piephahn spielen,
    und alle soll'n gen Himmel schielen,
    auf dem ganz groß geschrieben steht,
    daß es mir wieder besser geht;
    vorausgesetzt, ich krieg' das Zeug.
    Aus diesem Grunde bitt' ich euch,
    euch ordentlich ins Zeug zu legen.
    Nicht wegen mir. Der Sache wegen.
    Der Mördermarder
    Der Mardermörder hockt vorm Bau,
    der Marder ist vor Angst ganz blau.
    Er weiß, daß ihm vor seinem Tod
    die Qual der Mardermarter droht,
    wenn er nicht kurzentschlossen handelt,
    sich kühn zum Martermarder wandelt
    und marternd dem entgegenspringt,
    der mordend in sein Reich eindringt.
    Gedacht, getan, er hüpft ans Licht,
    der Mardermörder sieht das nicht,
    da der sich, scheinbar unbemerkt,
    grad für die Mardermarter stärkt.
    Der Martermarder zählt bis vier,
    der Mardermörder trinkt ein Bier.
    Der Mardermörder beißt ins Brot,
    der Mördermarder beißt ihn tot.
    Erlebnis auf einer Rheinreise
    Fuhr durch's Rheinland, kam nach Kaub,
    sah dort einen sitzen,
    weinte der, fragt' ich: Warum?
    Sagt' er, um sein Mützen.
    Hatt' er gar kein Mützen auf,
    fragte ich: Wie das denn?
    Sagte er: Grad kam ein Pferd,
    sah mein Mützen, fraß den.
    Sagt' ich: Hier, nimm meinen Hut!
    Sagt' er: Tut nichts nützen,
    hilft mir doch kein Hut der Welt,
    hilft mir nur mein Mützen.
    Fragt' ich, ob ich's glauben sollt,
    schrie er: Aber sicher!
    Bist ja bloß Napoleon,
    doch ich bin Marschall Blücher!
    Der Atelierbesuch
    Herrschaften, da wären wir,
    das hier ist die Eingangstür.
    Wenn Sie mir jetzt bitte folgen -
    nein, Frau Spatz, das sind nicht Wolken,
    das ist eine Hutablage.
    Ja, das steht ganz außer Frage.
    Bitte links zum Fenster sehn,
    dort muß grad die Sonne stehn.
    Doch, sie muß dort stehn, wenn nicht,
    kommt der Maler vor Gericht.
    Rechts dagegen steht ein Tisch,
    der gemalt ist, sowie Fisch,
    nicht gemalt. Nein, der ist echt.
    Gell, Sie sind doch echt, Herr Hecht?
    Bestens. Ferner haben wir
    hier ein graues Zwergklavier,
    rundherum mit Fell besetzt,
    nein, es quiekt nicht. Wenn Sie jetzt -
    doch, Sie haben recht, es quiekt!
    Wissen Sie, woran das liegt?
    Das Klavier ist eine Maus -
    laßt doch mal die Maus hinaus!
    Danke. Achtung! Hier geht's lang -
    wir kommen jetzt zum Malvorgang!
    Links der Maler, rechts das Bild,
    oder umgekehrt, hier gilt
    die bekannte Malerregel -
    nein, Herr Ohff, der malt nicht Kegel,
    der lasiert grad eine Zwiebel.
    Doch, der Maler ist sensibel.
    Schon das Lachen schöner Frauen
    kann ihm seinen Strich versauen -
    sehn Sie? Sehn Sie, wie er patzt?
    Ja, jetzt patzt er und nun kratzt
    er auch noch die Farbe runter,
    davon wird es auch nicht bunter.
    Was? Das Bild. Und unterlassen
    Sie's, den Künstler anzufassen.
    Da! Der Meister gibt ein Zeichen.
    Gibt das Zeichen »Bitte weichen« -
    ja! Er winkt uns mit den Zeh'n.
    Stimmt. Die Zeh'n sind schwer zu sehn,
    da sie sich – aus welchen Gründen
    immer – vorn am Fuß befinden.
    Also gut! Dann gehn wir mal;
    denn in seiner Lust und Qual
    muß der Künstler einsam bleiben.
    Ja, das bitt' ich mitzuschreiben.
    Gell? Wer nicht total vertiert ist,
    schnallt, wie toll das formuliert ist.
    So. Mir nach. Da wären wir.
    Das hier ist die Ausgangstür.
    Holde Herren, würd'ge Fraun -
    ich empfehl' mich.

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