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Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Titel: Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gernhardt
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könnten all diese Möbel erlösen,
    diktierten Sie etwas in meinen Bestellblock.
    - Das kann nicht die Klage der Waren sein, Alter.
    Zwar giert jede Ware nach ihrem Käufer,
    doch in dem Gemüseladen vorhin
    las ich von Traum nichts, noch spürte ich Albtraum.
    Durchs große Möbelhaus am Montagvormittag.
    So leicht trat ich ein, nun wird mein Schritt schwerer.
    »Setz dich doch!« locken die Sessel, die Sofas.
    - Ich werd mich nicht auf dich setzen, Sessel!
    Täte ich es, ich würd selber zum Möbel.
    Aus meiner Seite aber ein Schildchen
    wüchse mit Preis und preisenden Worten:
    - Aktion und Tschüß. Für 1700,-
    zeugt TK putto vom Stil seines Käufers:
    Sitzen, liegen, relaxen, ruhn -
    wann stellen Sie fest, welcher Typ Sie sind?
    - Rede nicht weiter, Sessel, ich bitt dich.
    Spar deine Worte, Sofa, sonst bind ich
    mir dieses Halstuch um meine Ohren:
    Singt die Sirene, dann muß der Mann handeln.
    Dich, großes Möbelhaus am Montagvormittag,
    durchschreite ich taub für der Vorgänger Rufe.
    Hätten sie aufgepaßt, sie müßten nicht betteln:
    Nimm mich, den Hochlehner TK moda!
    Nein mich, das Bettsofa TK madonna!
    Nein mich, den Dreisitzer TK largo!
    Nein mich, die Sitzlandschaft TK arena!
    Werd ich, ein eigenwilliger Einzelsessel!
    Nein ich, ein beispielgebendes Bettsofa!
    Nein ich, eine sophistische Sofagruppe!
    Nein ich, eine wertbeständige Wohnlandschaft!
    Sei ich, der Kleine mit dem großen Charakter!
    Nein ich, schön am Tag und bequem in der Nacht!
    Nein ich, die Eigenart, die Vielfalt braucht!
    Nein ich, der Wohnraum, der Wohntraum wird!
    Vorm großen Möbelhaus am Montagvormittag.
    Durch die Schaufensterscheibe seh ich den Alten
    seufzend die Beine aufs Fußteil legen
    und mählich zum TK mortale mutieren.
    Der Sohn führt den Vater
durch die neue Wohnung
    - Hier im Bad ist eine Kachel lose.
    Ich will sie baldmöglichst befestigen lassen.
    - Du wirst ganz einfach nicht an sie rühren,
    dann ist sie noch locker, wenn wir schon starr sind.
    - Hier in der Küche ist eine Fliese gesprungen.
    Ich werde sie schleunigst austauschen lassen.
    - Du wirst ganz einfach nicht auf sie treten,
    dann hält die länger als vieles, das heil scheint.
    - Hier im Flur ist eine leicht unschöne Schräge.
    Ich werde mich wohl an sie gewöhnen.
    - Du wirst leider umgehend ausziehen müssen,
    wenn dich dein Auge nicht ärgern soll ewiglich.
    Als er sich auf einem
stillen Örtchen befand
    Mein Blick fällt aufs
    Toilettenpapier.
    Darauf steht »Danke«.
    Danke wofür?
    Danke dafür,
    daß ich es verwende
    und keine edlen
    Ressourcen verschwende.
    Danke dafür,
    daß ich es benütze
    und so die Recycling-
    Idee unterstütze.
    Danke im Namen
    von Wald und Baum:
    Du sicherst unseren
    Lebensraum.
    Danke im Namen
    von Fink und Star:
    Du nimmst auch unsre
    Interessen wahr.
    Danke im Namen
    der ganzen Natur:
    So handeln
    Auserwählte nur.
    Danke im Namen
    des blauen Planeten:
    Heilig, heilig.
    Lasset uns beten!
    Dank für dein Dasein
    in unserer Mitte!
    Groß greif ich zur Rolle
    und sag segnend: Bitte.
    Tageslauf
    Morgendlicher Ausgang
    Geh ich eilig aus dem Haus
    Hab ich viel zu richten
    Ist der Nachbar arbeitslos
    Schäm mich meiner Eile.
    Zeitungslektüre im Wartezimmer
    Lese ich vom kranken Kind
    Kann sich nicht bewegen
    Spüre ich ein Ziehn im Zahn
    Schäm mich meiner Schmerzen.
    Bettler in der Fussgängerzone
    Stehe ich vorm Bettlerhut
    Liegt darin kein Pfennig
    Habe ich nur großes Geld
    Schäm mich meiner Scheine.
    Plakatsäule am Heimweg
    Sehe ich die Lepra-Frau
    Hat sie keine Hände
    Hab ich beide Hände noch
    Schäm mich meiner Hände.
    Abendliche Tagesschau
    Sehe ich die Leichen all
    Haben sie kein Leben
    Habe ich mein Leben noch
    Freu mich meines Lebens.
    Erzählungen
    Mein Nachbar erzählt mir von seinem Leid.
    - Ich wußte gar nicht, daß Ihnen Lärm soviel ausmacht, Sie Armer!
    - Sie sind es, der diesen Lärm verursacht, mein Herr!
    - Und warum richten Sie Ihre Klagen dann an mich?
    Meine Geliebte erzählt mir von ihrem Kummer.
    - Seit wann hast du denn einen Sohn, mein Häschen?
    - Er ist von dir, du Miststück!
    - Und warum nervst du ausgerechnet mich mit ihm?
    Meine Tochter erzählt mir von ihrem Schmerz.
    - Ja, warum besucht denn dein Freund dich nicht mehr, Tochter?
    - Du selber hast ihm das Haus verboten, Vater!
    - Und warum muß ich mir dann so was in meinem eigenen Hause anhören?
    Mein Pfarrer erzählt mir von Gottes Güte.
    - Mir gegenüber hat er sich ja immer korrekt verhalten, Herr Pfarrer.
    Aber fragen

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