Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Titel: Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gernhardt
Vom Netzwerk:
zu nehmen?
    Doch, ich folge. Allein durch Krankfeiern
    gehen der deutschen Wirtschaft alljährlich -
    wäre es nicht ratsam, mal einen Arzt aufzusuchen?
    Doch, ich verstehe. Die Unternehmen
    haben nichts zu verschenken. Leistung
    muß sich in unserem Lande wieder -
    Doch da ständig »Leistung« das Thema ist -
    bisher hab ich einen Gesichtspunkt vermißt:
    Hast du dich eigentlich noch nie gefragt,
    wie lange sich ein Unternehmen wie deins
    jemanden wie dich leisten kann?
    Von gleich zu gleich
    Weltweit die Reichen
    sitzen da und vergleichen:
    Da wir beim Geld sind: Was kriegt eure Putzfrau?
    Wir haben jetzt eine neue, aus Polen.
    Ihr auch? Und was gebt ihr der so in der Stunde?
    Was? Siebzehn Mark? So verdirbt man die Preise!
    Unsre kriegt zwölf und ist rundum zufrieden.
    Garçon! Noch zwei Cognacs! Und danach: die Rechnung!
    Weltweit die Reichen
    sitzen da und begleichen:
    Die Getränke gehen auf mich! Laß mal sehen:
    Vier Gläser Champagner, die Flasche Sancerre,
    danach der Petrus, der war lecker, das Wasser,
    und dann, was heißt das hier? Ach: Château d'Yquem.
    Der Kaffee, zwei Cognacs, nein vier. Nichts zu danken,
    ihr Lieben. Man gönnt sich ja sonst nichts.
    »Gastlichkeit in Recklinghausen«
    Sieben Vierzeiler zu Fotos im Fahrstuhl des Hotels B. in R.
    »Die Bar Tatü-Tata«
    In der Bar ist nachts der Bär los:
    Männer enthülln ihre Strapse
    und treiben kreischende Frauen
    mit »Tatü Tata« in die Klapse.
    »Ein Hotelzimmer«
    Wozu lädt das breite Bett ein?
    Zum Schlafen, zum Sterben, zum Ficken?
    Mit Eins und Zwei muß man rechnen,
    das Dritte dürfte nicht glücken.
    »Das Frühstückszimmer«
    Das Frühstück gibt's in der Frühe.
    Schlimm genug. Doch es kommt noch schlimmer.
    Wer so früh stückt, muß durch die Hölle,
    und die nennt sich: Frühstückszimmer.
    »Der grosse Tagungsraum ›Köln‹«
    Das Strafrecht kennt harte Strafen
    wie Einsperrn, Fesseln und Schlagen.
    Die härteste aber lautet:
    Im Tagungsraum »Köln« zu tagen.
    »Der kleine Tagungsraum ›Essen‹«
    Dieser süßliche Stank in den Fluren!
    Er dringt aus dem Tagungsraum »Essen«.
    Dort hat man die Stadtplanertagung
    circa anno 60 vergessen.
    »Die Trabrennbahn«
    In R. ist jeder am Flüchten.
    Selbst Pferde gehn auf die Reise.
    Doch so sehr sich die Guten auch sputen,
    die Armen laufen im Kreise.
    »Der Marktplatz«
    Der Marktplatz von R.? Ein Juwel!
    (Sofern »Juwel« etwas meint,
    was nicht schimmert, nicht glitzert, nicht leuchtet
    und schon gar nicht strahlt oder scheint.)
    Mönchengladbach,
Lettow-Vorbeck-Strasse
    Schön ruhig bei den Reichen,
    so ruhig als bei Leichen.
    Kein Laut dringt aus den Villen,
    hier ist man unter Stillen.
    Doch da nahn sich zwei rote Mützen,
    die lallend einander stützen.
    Die gickernd nach Dosen greifen,
    um gluckernd was einzupfeifen,
    und die dies gezielte Bedröhnen
    noch mit einem Kurzen krönen.
    Nicht genug damit: Einer der Penner
    mimt vor einer der Villen den Kenner
    und läutet gezielt an der Pforte.
    Ein Fenster geht auf. Barsche Worte
    des Pförtners bedeuten dem Vollen,
    sich unverzüglich zu trollen.
    Der hält sich bewundernswert gerade,
    sagt etwas wie »Scheiße« und »Schade«
    und schreit »Bestelln Sie der Süßen,
    ich laß sie ja sowas von grüßen!«
    Dann schickt er sich an, mit dem andern
    die Straße hinunterzuwandern,
    um Richtung Stadt zu entweichen:
    Schön ruhig bei den Reichen.
    Sonntag in Lübeck
    Wie sie kauend durch
    die Straßen schieben!
    - Du mußt diese Menschen nicht lieben.
    Wie sie gekleidet sind,
    die Ungeschlachten!
    - Du mußt diese Menschen nicht achten.
    Wie erfreulich es wär,
    wenn sie weniger wögen!
    - Du mußt diese Menschen nicht mögen.
    Wie sie durch ihre
    Stumpfheit entsetzen!
    - Du mußt diese Menschen nicht schätzen.
    Wie schafft man es nur,
    sie nicht zu hassen?
    - Da mußt du dir etwas einfallen lassen.
    Ballade vom grossen Möbelhaus
am Montagvormittag
    Ins große Möbelhaus am Montagvormittag.
    Ja, bin ich denn allein hier unter all diesen Möbeln?
    Ach nein, dahinten sitzt noch ein Mensch.
    - Warum so melancholisch, mein Alter?
    - Soll hier Möbel verkaufen, mein Herr!
    - Aber die hier, die will man doch nicht einmal geschenkt haben!
    - Und da fragen Sie noch, warum ich so melancholisch bin?
    Im großen Möbelhaus am Montagvormittag.
    Hier hätten Träume Form angenommen, lese ich.
    Wieso wähne ich mich dann in einem Albtraum?
    - Das rührt von der Klage der Waren her, Herr.
    Jedwede Ware verlangt's nach Verwandlung.
    Sie

Weitere Kostenlose Bücher