Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006
vieltürmig
Büdingen.
Pfadfinder
Ein Schritt vom Wege
Zwei Schritte vom Wege
Drei Schritte vom Wege
Wo ist der Weg?
Vier Schritte vom Wege
Fünf Schritte vom Wege
Sechs Schritte vom Wege
Da ist kein Weg!
Sieben Schritte vom Wege
Acht Schritte vom Wege
Neun Schritte vom Wege
Ist da ein Weg?
Zehn Schritte vom Wege
Elf Schritte vom Wege
Zwölf Schritte vom Wege
Das ist der Weg!
VII
alltäglich
Was es alles gibt
Da gibt es die, die schlagen
Da gibt es die, die rennen
Da gibt es die, die zündeln
Da gibt es die, die brennen
Da gibt es die, die wegsehn
Da gibt es die, die hinsehn
Da gibt es die, die mahnen:
Wer hinsieht, muß auch hingehn
Da gibt es die, die wissen
Da gibt es die, die fragen
Da gibt es die, die warnen:
Wer fragt, wird selbst geschlagen
Da gibt es die, die reden
Da gibt es die, die schweigen
Da gibt es die, die handeln:
Was wir sind, wird sich zeigen.
U-Bahnhof Miquel-Adickes-Allee
15 Uhr 30
Der Knall. Der bittre
Geruch von Bier.
Die spritzenden Scherben
über kreischenden Fliesen.
Einer, der sich entfernt
in die U-Bahn-Unterführung.
Einer, der, stehengeblieben,
ihm ungläubig nachschaut:
»Was muß der für eine Wut im Bauch haben!«
Die Furcht. Der kahle
Hinterkopf. Das breite
Kreuz. Die geballten
Fäuste an den Jeansnähten.
Einer, dessen Schritt hallt
in der leeren Unterführung.
Einer, der im stillen
der Bierflasche dankt:
»Was, wenn der statt dessen seine Wut an mir ausgelassen hätte!«
Wiener Anwandlung
Wenn vor dem Ball die Jugend sich sammelt,
ganz Jeunesse dorée, als sei nichts passiert,
und im Abenddress ins Café hereinströmt,
in Stola und Smoking, als sei nichts passiert,
und die Mäntel da ablegt, wo »Reserviert« steht,
die Capes und die Pelze, als sei nichts passiert,
und zum Aufwärmen schon mal Champagner ordert,
Roederer Cristal, als könne nie etwas passieren -
Dann wünsch ich mir, es brächen durchs Fenster
verdreckte Kosaken mit blitzenden Klingen,
die Stolas aufzuspießen der Damen,
die Schleifen aufzutrennen der Herren,
und wenn dabei auch noch ein Kopf abfiele -
kann ja passiern, daß dabei ein Kopf abfällt,
soll jedenfalls schon mal dabei passiert sein – :
dann sagte ich, was man in Fällen wie diesen
sagt: Hoppla! Und ich höbe das Weinglas.
Die Alten
Ein tristes Kapitel, die Alten.
Können sich nichts merken, nichts halten,
haben bei allem, was sie tun, Beschwerden -
warum mußten sie so alt werden?
»Jetzt müssen wir nur noch einen großen Schritt
machen, dann sind wir auf dem Bürgersteig.«
»Ich schaff's nicht, ich schaff's nicht. Diese
verdammten Beine!« »Natürlich schaffen wir es!«
Wem kann denn das Altwerden nützen?
Der Alte braucht Stöcke, braucht Stützen,
braucht Hilfe in allen Dingen -
wer soll soviel Einsatz erbringen?
»Ich werde die beiden nie vergessen. Die eine,
im Rollstuhl, klagte in einem fort: Ich will nicht mehr,
ich will nicht mehr! Und die andere, schiebend,
korrespondierte: Ich kann nicht mehr, ich kann nicht mehr!«
»Verwandte von Ihnen?« »Gott sei Dank nein!«
Wie sich die Alten ans Leben klammern!
Kletten gleich, aber Kletten, die jammern,
bleiben sie derart hartnäckig auf Erden,
daß auch die Jungen darüber alt werden.
»Die Amerikaner haben ein ganz treffendes Wort dafür:
Vegetable. Denken, fühlen, handeln – alles stillgelegt.
Die Frau ist seit vier Jahren nichts weiter als ein Durchgang:
bewußtlos, gefühllos, seelenlos. Just vegetable.«
»Reden wir noch immer von Ihrer Frau Mutter?« »Leider ja.«
Die Alten lehren die Jungen:
So wird mal mit euch umgesprungen.
Mögt ihr euch noch so gut halten -
eines Tages seid ihr die Alten.
»So, jetzt hören wir brav mit dem Dichten auf und
legen uns wieder hin.« »Aber vorher muß ich noch einen
Schluß finden. Das Gedicht hat doch noch gar keinen Schluß!«
»Um den Schluß brauchen wir uns doch keine Sorgen zu machen!
Der findet sich! Der findet sich schon von ganz, ganz alleine, der Schluß!«
Gespräch mit einem Studienfreund
heute Führungskraft
Wenn du so cool bist und so schick -
warum hast du diesen Tic?
Aber ja, etwas reißt dir alle zwei Sätze
den Kopf herum und verzerrt deine Züge -
was ist das?
Aber nein, das ist keine Einbildung meinerseits,
das ist, Freund, eine Fehlbildung deinerseits -
was bedeutet sie?
Doch, ich hör zu. Der Standort Deutschland
ist in Gefahr, weil das Anspruchsdenken -
hast du nie daran gedacht, selbst Hilfe in Anspruch
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