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Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Titel: Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gernhardt
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vieltürmig
    Büdingen.
    Pfadfinder
    Ein Schritt vom Wege
    Zwei Schritte vom Wege
    Drei Schritte vom Wege
    Wo ist der Weg?
    Vier Schritte vom Wege
    Fünf Schritte vom Wege
    Sechs Schritte vom Wege
    Da ist kein Weg!
    Sieben Schritte vom Wege
    Acht Schritte vom Wege
    Neun Schritte vom Wege
    Ist da ein Weg?
    Zehn Schritte vom Wege
    Elf Schritte vom Wege
    Zwölf Schritte vom Wege
    Das ist der Weg!

VII
    alltäglich
    Was es alles gibt
    Da gibt es die, die schlagen
    Da gibt es die, die rennen
    Da gibt es die, die zündeln
    Da gibt es die, die brennen
    Da gibt es die, die wegsehn
    Da gibt es die, die hinsehn
    Da gibt es die, die mahnen:
    Wer hinsieht, muß auch hingehn
    Da gibt es die, die wissen
    Da gibt es die, die fragen
    Da gibt es die, die warnen:
    Wer fragt, wird selbst geschlagen
    Da gibt es die, die reden
    Da gibt es die, die schweigen
    Da gibt es die, die handeln:
    Was wir sind, wird sich zeigen.
    U-Bahnhof Miquel-Adickes-Allee
15 Uhr 30
    Der Knall. Der bittre
    Geruch von Bier.
    Die spritzenden Scherben
    über kreischenden Fliesen.
    Einer, der sich entfernt
    in die U-Bahn-Unterführung.
    Einer, der, stehengeblieben,
    ihm ungläubig nachschaut:
    »Was muß der für eine Wut im Bauch haben!«
    Die Furcht. Der kahle
    Hinterkopf. Das breite
    Kreuz. Die geballten
    Fäuste an den Jeansnähten.
    Einer, dessen Schritt hallt
    in der leeren Unterführung.
    Einer, der im stillen
    der Bierflasche dankt:
    »Was, wenn der statt dessen seine Wut an mir ausgelassen hätte!«
    Wiener Anwandlung
    Wenn vor dem Ball die Jugend sich sammelt,
    ganz Jeunesse dorée, als sei nichts passiert,
    und im Abenddress ins Café hereinströmt,
    in Stola und Smoking, als sei nichts passiert,
    und die Mäntel da ablegt, wo »Reserviert« steht,
    die Capes und die Pelze, als sei nichts passiert,
    und zum Aufwärmen schon mal Champagner ordert,
    Roederer Cristal, als könne nie etwas passieren -
    Dann wünsch ich mir, es brächen durchs Fenster
    verdreckte Kosaken mit blitzenden Klingen,
    die Stolas aufzuspießen der Damen,
    die Schleifen aufzutrennen der Herren,
    und wenn dabei auch noch ein Kopf abfiele -
    kann ja passiern, daß dabei ein Kopf abfällt,
    soll jedenfalls schon mal dabei passiert sein – :
    dann sagte ich, was man in Fällen wie diesen
    sagt: Hoppla! Und ich höbe das Weinglas.
    Die Alten
    Ein tristes Kapitel, die Alten.
    Können sich nichts merken, nichts halten,
    haben bei allem, was sie tun, Beschwerden -
    warum mußten sie so alt werden?
    »Jetzt müssen wir nur noch einen großen Schritt
    machen, dann sind wir auf dem Bürgersteig.«
    »Ich schaff's nicht, ich schaff's nicht. Diese
    verdammten Beine!« »Natürlich schaffen wir es!«
    Wem kann denn das Altwerden nützen?
    Der Alte braucht Stöcke, braucht Stützen,
    braucht Hilfe in allen Dingen -
    wer soll soviel Einsatz erbringen?
    »Ich werde die beiden nie vergessen. Die eine,
    im Rollstuhl, klagte in einem fort: Ich will nicht mehr,
    ich will nicht mehr! Und die andere, schiebend,
    korrespondierte: Ich kann nicht mehr, ich kann nicht mehr!«
    »Verwandte von Ihnen?« »Gott sei Dank nein!«
    Wie sich die Alten ans Leben klammern!
    Kletten gleich, aber Kletten, die jammern,
    bleiben sie derart hartnäckig auf Erden,
    daß auch die Jungen darüber alt werden.
    »Die Amerikaner haben ein ganz treffendes Wort dafür:
    Vegetable. Denken, fühlen, handeln – alles stillgelegt.
    Die Frau ist seit vier Jahren nichts weiter als ein Durchgang:
    bewußtlos, gefühllos, seelenlos. Just vegetable.«
    »Reden wir noch immer von Ihrer Frau Mutter?« »Leider ja.«
    Die Alten lehren die Jungen:
    So wird mal mit euch umgesprungen.
    Mögt ihr euch noch so gut halten -
    eines Tages seid ihr die Alten.
    »So, jetzt hören wir brav mit dem Dichten auf und
    legen uns wieder hin.« »Aber vorher muß ich noch einen
    Schluß finden. Das Gedicht hat doch noch gar keinen Schluß!«
    »Um den Schluß brauchen wir uns doch keine Sorgen zu machen!
    Der findet sich! Der findet sich schon von ganz, ganz alleine, der Schluß!«
    Gespräch mit einem Studienfreund
heute Führungskraft
    Wenn du so cool bist und so schick -
    warum hast du diesen Tic?
    Aber ja, etwas reißt dir alle zwei Sätze
    den Kopf herum und verzerrt deine Züge -
    was ist das?
    Aber nein, das ist keine Einbildung meinerseits,
    das ist, Freund, eine Fehlbildung deinerseits -
    was bedeutet sie?
    Doch, ich hör zu. Der Standort Deutschland
    ist in Gefahr, weil das Anspruchsdenken -
    hast du nie daran gedacht, selbst Hilfe in Anspruch

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