Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006
die Welt an den Rändern. So
Scheint die Wahrheit dem
Der den Blick nicht wendet.
Zürich – Frankfurt/Main
6. 5 . 95 , mit Rückenlicht
Ohne Geheimnis die Welt. Nur eine Frage der Richtung.
Fällt mit der Sonne dein Blick, wirkt das Gerundete flach.
Köln – F/M
Da geht so 'n junges Mädchen durch den Speisewagen.
Das nehme ich nicht wahr, ihr könnt mich schlagen.
Da wippen hohe Brüste unter leichten Stoffen.
Daß die mich irritiern, dürft ihr nicht hoffen.
Da spannen feste Hosen prall wie blaue Trauben.
Daß die mich fasziniern, müßt ihr nicht glauben.
Da federn schlanke Beine herrlich in Gelenken.
Daß die mich echauffiern, sollt ihr nicht denken.
Dazwischen dieser Spalt. Grad zum Verlöten.
Das hab ich nie gesagt. Ihr könnt mich töten.
Der ICE hat eine Bremsstörung
hinter Karlsruhe
Lila umflammt der Flieder die Hütte.
In Blumen versinkt die rostende Wanne.
Staubtrocken der Weg. Es zerrt unablässig
ein Wind an den Gräsern.
Alles im Rausch: Die Schwalben, die Blüten
Alles im Lot: Die Zäune, die Hecken
Alles im Licht: Der Schotter, die Schwellen
Alles im Arsch: Die Bremsen, der Zeitplan.
Zwischen Mannheim und
Gross Gerau
Hier scheint der Kleinmut zuhaus.
Alles schaut kleinlich aus.
So kleine Häuschen!
Fast meint man, Mäuschen
blickten zum Fensterlein raus.
Schnurgrad die Straßen sich ziehn.
Aussichtslos hier zu entfliehn.
Weg von der Gradheit,
fort aus der Fadheit
zwischen der Bahn und dem Grün.
Hier und da traut eine Maus
sich auf die Straße hinaus.
Wies Schnäuzchen wittert!
Wies Bärtchen zittert!
Regelrecht kühn schaut sie aus.
Macht manchmal gar einen Satz.
Nimmt jedoch rasch wieder Platz.
In dieser Flachheit
schützt keine Wachheit:
Alles ist hier für die Katz.
Im Bord-Restaurant
ODER
Aufklärung – nein danke
Diese reizenden Blumengebinde
auf den Tischen des Bord-Restaurants
- Sie sind alle aus Plastik
Die sind doch alle aus Plastik
Ach ja? Und wen stört das?
Diese reizenden dienstbaren Geister
um die Tische des Bord-Restaurants
- Sie sind alle auf Geld aus
Die sind doch alle auf Geld aus
Ach ja? Und wen schert das?
Diese aufreizenden Reden
an den Tischen des Bord-Restaurants
- Ich will nur sagen, was ist
Ich will doch nur sagen, was ist
Und ich will, daß nur ist, was ich sage.
Über den Semmering nach
Mürzzuschlag
Es geht ständig aufwärts
Das sind wohl die Berge
Es wird immer weißer
Das ist wohl der Schnee
Auf schwarzen Schraffuren
Das sind wohl die Bäume
Geplusterte Vögel
Die sind wohl am Ende.
So langsam der Wagen
Das macht wohl die Steigung
Mit einem Mal Blendung
Das ist wohl die Sonne
Dann wirbelnde Flocken
Das heißt wohl, daß Schnee fällt
Kein Wunder, im Winter
Ist das wohl die Regel.
Im weißen Tal Häuschen
Das ist wohl Mürzzuschlag
Der Name klingt lustig
Das ist wohl nur Tarnung
Der Bahnsteig verlassen
Das ist wohl ein Omen
Hier, dacht ich, sei's gut sein
Das war wohl ein Irrtum.
Vor dem Start Zürich – Amsterdam
Schöne Stewardess von der KLM
zeig mir die Notausstiege
noch einmal, noch einmal
Ich liebe die Art, wie du nach vorne zeigst
Ich liebe die Art, wie du nach hinten zeigst
Ich liebe die Art, wie du zur Seite zeigst
Noch einmal, noch einmal
zeig mir mehr Notausstiege
Ich liebe die Art, wie du dich von vorne zeigst
Ich liebe die Art, wie du dich von hinten zeigst
Ich liebe die Art, wie du dich von der Seite zeigst
Noch einmal, noch einmal
zeig mir noch mehr Notausstiege
Zeig mir den, der zu deinem Herzen führt
Zeig mir den, der zu deinem Hintern führt
Zeig mir den, der an deine Seite führt
Noch einmal, noch einmal
zeig mir alle Notausstiege
Bevor du flugplangemäß abhebst
und bevor ich erfahrungsgemäß abstürze
schöne Stewardess von der KLM.
Der lange Weg nach Büdingen
Nicht von weither grüßt Büdingen.
Versteckt sich lange, du hast noch in Düdelsheim
nicht den Schatten einer Ahnung von
Büdingen, und auch in Büches,
ja nicht einmal am Ortsende von Büches
spürst du einen Hauch davon, daß
Büdingen nur noch drei Kilometer
entfernt ist. Selbst wenn das Ortsschild
auftaucht, das unmißverständlich anzeigt
»Büdingen, Wetterau«, weißt du immer noch nicht,
was hinter dem Kreisverkehr den erwartet,
der dem Schild folgt »Historische Altstadt von
Büdingen«. Erst wer »Am Rosenkränzchen« steht,
also praktisch vor dem »Jerusalemer Tor«,
dem öffnet sich schlagartig, engwinklig,
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