Gesammelte Werke 1
geschehen. Beklommen blickte Gai nach hinten und registrierte erleichtert, dass der Flügel noch an seinem Platz war und auch die Propeller sich noch drehten. Dann aber sah er hoch und bemerkte, dass sich im fahlweißen Himmel über ihnen langsam rußschwarze Flecken verteilten. Wie Tusche im Wasser …
»Was ist das?«, fragte er.
»Weiß nicht«, sagte Maxim. »Merkwürdige Sache.« Er fügte noch zwei Wörter hinzu, die Gai nicht verstand, und erklärte dann zögerlich: »Eine Attacke von Himmelsgestein. Aber das ist Unsinn, so etwas gibt es nicht. Die Wahrscheinlichkeit liegt bei null Komma null null … Ja, ziehe ich es denn an?«
Er wiederholte die unverständlichen Wörter und verstummte.
Gai wollte fragen, was Himmelsgestein ist, doch da bemerkte er aus dem Augenwinkel heraus eine seltsame Bewegung rechts unten. Er schaute genauer hin. Über der schmutziggrünen Decke des Waldes schwoll langsam und schwerfällig eine gelbliche Blase an. Er begriff nicht sofort, dass es Rauch war; dann blitzte es in ihrem Inneren, ein langer schwarzer Gegenstand glitt daraus empor, und in derselben Sekunde krümmte sich unheimlich der Horizont, stand wie eine Mauer vor ihnen, und Gai musste sich an den Armlehnen festhalten. Die Maschinenpistole rutschte von seinen Knien und polterte über den Fußboden. »Massaraksch!«, hörte er Maxims Stimme in den Kopfhörern. »Gott im Himmel! Ich Idiot!« Der Horizont richtete sich wieder aus. Gai suchte nach dem gelben Qualm, konnte ihn aber nirgends entdecken. Er blickte nach vorn und sah plötzlich, wie direkt vor ihnen eine Fontäne verschiedenfarbiger Funken aufspritzte. Wieder blähte sich eine gelbe Wolke, blitzte Feuer, wieder stieg ein langer schwarzer Gegenstand in die Höhe und barst zu einer blendend weißen Kugel. Gai schlug die Hände vor die Augen. Die weiße Kugel verblasste, bekam schwarze Flecken und wurde zu einem gigantischen Klecks. Der Boden unter ihren Füßen stürzte fort. Gai riss den Mund auf und rang nach Luft, für einen Moment schien ihm, als stülpte sich sein Magen um. In der Kabine war es dunkel geworden, schwarze Rauchschwaden schwebten auf sie zu und seitlich vorbei. Wieder änderte sich der Horizont, nun lag der
Wald zur Linken. Gai schloss die Augen und krümmte sich in Erwartung eines Schlags, eines Schmerzes, des Todes. Er bekam keine Luft mehr, alles ringsum ruckte und wankte. »Massaraksch«, schrie Maxim in den Kopfhörern. »Dreiunddreißigmal Massaraksch.« Und da hämmerte es kurz und heftig gegen die Bordwand, so, als feuerte man aus einem Maschinengewehr auf sie, ein eisiger Luftzug traf Gai hart ins Gesicht, sein Helm verrutschte. Er kauerte sich zusammen und versuchte, den Kopf vor dem Dröhnen und dem Gegenwind zu schützen. Aus, dachte er, es ist aus. Sie schießen auf uns. Gleich holen sie uns runter, und wir verbrennen. Aber nichts geschah. Der Bomber schüttelte sich noch ein paarmal, fiel in einige Luftlöcher, aus denen er wieder auftauchte - und dann verstummten plötzlich die Triebwerke. Es wurde unheimlich still. Nur das Heulen des Windes war zu hören, der durch die Einschusslöcher drang.
Gai wartete ein wenig und hob dann vorsichtig den Kopf, bemüht, das Gesicht nicht der Zugluft auszusetzen. Maxim war an seinem Platz. Den Körper gespannt, hielt er noch immer mit beiden Händen den Hebel fest und starrte auf die Armaturen, dann wieder nach vorn. Unter seiner braunen Haut zeichneten sich die Muskeln ab. Der Bomber flog jetzt seltsam, mit unnatürlich emporgerecktem Bug. Die Motoren schwiegen. Gai sah nach hinten und erstarrte.
Ein Flügel brannte.
»Feuer!«, schrie er und versuchte aufzuspringen. Doch der Gurt hielt ihn fest.
»Sitz ruhig!«, sagte Maxim durch die Zähne. Er wandte sich nicht um.
Gai riss sich zusammen und starrte geradeaus. Sie hatten schon sehr an Höhe verloren. Schwarze und grüne Flecken flimmerten vor seinen Augen. Und vorn erhob sich bereits die schimmernde, stahlgraue Oberfläche des Meeres. Zerschellen werden wir!, durchfuhr es ihn, und sein Herz stockte.
Verfluchter Herzogprinz mit seinem verfluchten Bomber, Massaraksch! Auch so ein Überbleibsel des Imperiums. Und dabei könnten wir so schön ruhig und sorglos dahinwandern. Stattdessen werden wir gleich verbrennen. Und wenn wir nicht verbrennen, dann bersten wir, und bersten wir nicht, dann versinken wir im Meer. Maxim ist das gleich, er wird sowieso wieder auferstehen, aber für mich ist es das Ende. Ich will nicht.
»Zapple nicht
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