Gesammelte Werke 1
Katastrophenschutz, und sie bittet, man möge keinen Lärm machen und sie nicht beim Schlafen stören. Dafür gab es keine herkömmliche Erklärung. Und Toivo versuchte auch nicht, eine zu finden. Er blieb einfach vor Ort und wartete ab; er wartete, bis die Alte aufstand, um
ihr ein paar Fragen zu stellen. Er blieb und wurde belohnt. »Wenn mir nicht eingefallen wäre, mit Basil zu frühstücken«, erzählte er später, »wenn ich gleich nach dem Interview mit Tolstow zum Rapport zu Ihnen gekommen wäre, hätte ich den Eindruck behalten, in Malaja Pescha wäre nichts weiter vorgefallen als eine wilde Panik, hervorgerufen durch eine Invasion künstlicher Lebewesen. Aber da erschienen der Junge Kir und Oma Albina und brachten in dieses wohlgefügte, aber primitive Schema eine entscheidende Dissonanz …«
Ihm war »eingefallen, mit Basil zu frühstücken« - so drückte er sich aus. Wohl, um keine Zeit darauf zu verschwenden, Worte zu finden für die vagen, beunruhigenden Empfindungen, die ihn zum Bleiben veranlasst hatten.
Malaja Pescha. Am selben Tag. 8 Uhr morgens
Kir zwängte sich mit seiner Galeere in Händen in die Null-T-Kabine und verschwand nach Petrosawodsk. Basil zog seinen dicken Spezialanorak aus, warf sich ins Gras und nickte, wie es schien, auf dem schattigen Fleckchen ein. Oma Albina schwebte zurück ins Cottage Nr. 1.
Toivo machte sich nicht die Mühe, zum Pavillon zu gehen; er setzte sich einfach mit überkreuzten Beinen ins Gras - und wartete.
Aber es ereignete sich nichts Besonderes in Malaja Pescha. Aus dem Cottage Nr. 7 hörte man von Zeit zu Zeit einen gekränkten Aufschrei Ernst Jürgens - mal über das Wetter, mal über den Fluss, mal über den Urlaub. Albina, noch immer ganz in Weiß, erschien auf ihrer Veranda und setzte sich unter die Markise. Ihre Stimme klang herüber, melodisch, leise - anscheinend sprach sie mit jemandem per Videofon. Mehrmals tauchte Duremar-Tolstow in Toivos Blickfeld auf; er strich zwischen den Cottages umher, hockte sich hin, um den
Erdboden zu betrachten, kroch in die Büsche, mitunter auf allen vieren.
Um halb acht stand Toivo auf, ging in den Klub und rief seine Mutter per Videofon an. Der übliche Kontrollanruf. Er fürchtete, den Tag über sehr beschäftigt zu sein und keine Zeit zum Anrufen mehr zu finden. Sie sprachen über dies und das … Toivo erzählte, dass er eine alte Ballerina namens Albina getroffen habe. Ob das nicht Albina die Große sei, von der man ihm als Kind so vorgeschwärmt hatte? Sie überlegten kurz und kamen zu dem Schluss, dass das durchaus möglich war. Doch es hatte noch eine berühmte Ballerina Albina gegeben, die etwa fünfzig Jahre älter war als Albina die Große. Dann verabschiedeten sie sich bis zum nächsten Tag.
Von draußen hörte Toivo nun ein jammervolles Geschrei: »Und die Krebse? Ljowa, die Krebse!«
Ljowa Tolstow näherte sich schnellen Schrittes dem Klub. Mit der linken Hand winkte er verärgert ab, mit der rechten presste er sich ein großes Paket an die Brust. Am Eingang zum Pavillon blieb er stehen und schrie mit hoher, schriller Stimme zum Cottage Nr. 7 hinüber: »Ich komme ja wieder! Bald!« Da bemerkte er, dass Toivo ihn ansah, und erklärte wie zur Entschuldigung: »Eine sehr merkwürdige Geschichte. Jetzt muss ich der Sache doch nachgehen. Mir Klarheit verschaffen.« Damit verschwand er in der Null-T-Kabine.
Daraufhin geschah längere Zeit wieder nichts. Toivo beschloss, bis acht Uhr zu warten.
Um fünf Minuten vor acht tauchte ein Gleiter aus dem Wald auf, flog ein paar Runden über Malaja Pescha, ging dabei allmählich tiefer und landete sanft vor dem Cottage Nr. 10. Dort hatte, der Einrichtung nach zu urteilen, die Familie eines Künstlers gewohnt. Aus dem Gleiter sprang ein hochgewachsener Mann, der leichtfüßig die Stufen zur Veranda hinauflief und dann nach hinten gewandt rief: »Alles in Ordnung! Es ist nichts und niemand zu sehen!« Während
Toivo über den Platz zu ihm ging, stieg eine junge Frau aus dem Gleiter. Sie hatte kurzes Haar und trug ein nicht ganz knielanges, violettes Hemdkleid. Anstatt jedoch die Außentreppe hochzugehen, blieb sie neben dem Gleiter stehen und hielt sich mit einer Hand an der Tür fest.
Wie sich herausstellte, war sie Künstlerin, hieß Sossja Ljadowa, und es war ihr Selbstporträt gewesen, das Toivo im Cottage der Jarygins gesehen hatte. Sie war etwa fünfundzwanzig Jahre alt und studierte an der Akademie, im Atelier Komowskij-Korsakows. Etwas
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