Gesammelte Werke 1
Angst berufen müssen. Glauben Sie ihnen nicht, mein Lieber, glauben Sie es nicht! Es war eine ganz primitive, schändliche Xenophobie, ähnlich den Rassenvorurteilen. Ich weiß noch, als Kind hatte ich hysterische Angst vor Spinnen und Schlangen. Und hier ist es dasselbe.«
»Das mag durchaus sein. Aber etwas möchte ich doch gern genauer wissen. Diese Wesen haben um Hilfe gebeten; sie brauchten Barmherzigkeit. Doch wie kam das zum Ausdruck? Denn wenn ich Sie richtig verstehe, haben sie nicht gesprochen, nicht einmal gestöhnt …«
»Mein Lieber! Sie waren krank, sie lagen im Sterben! Was hat es schon zu sagen, dass sie schweigend starben? Ein auf den Strand geworfener Delfin gibt schließlich auch keinen Laut von sich. Jedenfalls hören wir ihn nicht, und trotzdem ist uns klar, dass wir ihm helfen müssen und eilen ihm zu Hilfe. Dort kommt ein Junge, Sie können hier nicht hören, was er sagt, aber Sie sehen, dass er munter ist, fröhlich, glücklich.«
Aus dem Cottage Nr. 6 näherte sich Kir, und er war in der Tat munter, fröhlich und glücklich. Basil, der neben ihm ging, trug ehrfurchtsvoll das große schwarze Modell einer antiken Galeere in Händen. Er stellte anscheinend Fragen, und Kir antwortete ihm, beschrieb mit seinen Händen Abmessungen, Formen, komplizierte Wechselwirkungen. Anscheinend war auch Basil ein großer Modellbauer von antiken Galeeren.
Albina schaute genauer hin: »Aber das ist ja Kir!« »Ja«, sagte Toivo. »Er ist zurückgekommen, um sein Modell zu holen.«
»Kir ist ein guter Junge«, erklärte Albina. »Aber sein Vater hat sich widerwärtig aufgeführt. Guten Morgen, Kir!«
Kir war so ins Gespräch vertieft, dass er sie erst jetzt bemerkte. Er blieb stehen und sagte schüchtern: »Guten Morgen.« Die Begeisterung war von seinem Gesicht gewichen, wie übrigens auch von dem Basils.
»Wie geht es deiner Mama?«, erkundigte sich Albina.
»Danke. Sie schläft.«
»Und der Papa? Wo ist dein Vater, Kir? Ist er irgendwo hier?«
Kir schüttelte schweigend den Kopf und machte ein finsteres Gesicht.
»Und du bist die ganze Zeit über hiergeblieben?«, rief Albina anerkennend und warf Toivo einen triumphierenden Blick zu.
»Er ist wegen seines Modells zurückgekommen«, erinnerte Toivo sie.
»Egal. Du hattest doch keine Angst, hierher zurückzukehren, Kir?«
»Aber warum sollte ich denn Angst vor ihnen haben, Oma Albina?«, murmelte Kir gekränkt und wollte seitwärts an ihr vorbeigehen.
»Ich weiß nicht, ich weiß nicht«, sagte Albina giftig. »Dein Vater zum Beispiel …«
»Vater hatte überhaupt keine Angst. Das heißt, er hatte welche, aber nur um mich und Mama. Er hat in dem Durcheinander einfach nicht begriffen, wie lieb sie sind …«
»Nicht lieb, sondern unglücklich!«, berichtigte ihn Albina.
»Aber nein, warum denn unglücklich, Oma Albina?«, widersprach ihr Kir entrüstet, wobei er seine Arme ausbreitete, wie ein ungeschickter Tragöde. »Sie sind doch lustig, sie
wollten spielen! Sie haben richtig versucht, sich anzuschmiegen!«
Oma Albina lächelte herablassend.
An dieser Stelle muss ich nun unbedingt einen Aspekt hervorheben, der für den Mitarbeiter Toivo Glumow charakteristisch war. Hätte sich an seiner Stelle ein unerfahrener Praktikant befunden, wäre dieser nach der Unterredung mit Duremar zu dem Schluss gekommen, dass der versuchte, ihn in die Irre zu führen. Er hätte gedacht, dass die Sache im Großen und Ganzen auf der Hand liege: dass Fleming einen Embryophor neuen Typs geschaffen habe, seine Ungeheuer ausgebrochen seien, und man sich jetzt wieder beruhigt schlafen legen könne, um am Vormittag der Obrigkeit Bericht zu erstatten.
Ein erfahrener Mitarbeiter dagegen, wie beispielsweise Sandro Mtbewari, hätte nicht mit Basil Kaffee getrunken: Ein Embryophor neuen Typs ist kein Spaß, Sandro hätte unverzüglich fünfundzwanzig Anfragen an alle nur denkbaren Instanzen geschickt und wäre sofort nach Nishnaja Pescha gestürzt, um Flemings Stümpern und Halunken an die Gurgel zu gehen, bevor sie sich vorbereiten konnten, ihm die gekränkte Unschuld vorzuspielen.
Toivo Glumow aber rührte sich nicht vom Fleck. Warum? Er hatte den Gestank von Schwefel gerochen. Nein, nicht den Gestank - nur einen Hauch. Ein sensationeller Embryophor? Gewiss, das ist ernst. Aber es riecht nicht nach Schwefel. Eine hysterische Panik? Schon eher. Doch die Hauptsache war diese seltsame alte Frau aus dem Cottage Nr. 1. Das ist es! Panik, Hysterie, Flucht, der
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