Gesammelte Werke 1
weshalb der Herr Rittmeister geknurrt hat? Hattest die MP hingeworfen! Man darf seine Waffe nicht aus der Hand geben. Noch dazu im Kampf. Ach je, du Dörfler …«
»Lass das Gefasel, Pandi«, unterbrach Gai ihn ärgerlich. »Schnapp dir das Bild und geh!«
In der Tür drehte sich Gai noch einmal zu Maxim um und tippte sich mit dem Finger gegen die Stirn. Dann verschwand er. Einige Zeit hörte man noch, wie Pandi beim Hinuntersteigen lauthals »Gib Ruhe, Alte« sang. Maxim seufzte, legte die Maschinenpistole auf den Tisch und ging zu den Bücherhaufen, die sich auf Bett und Fußboden türmten. Mit einem Mal wurde ihm bewusst, dass er noch nirgendwo so viele Bücher gesehen hatte wie hier, höchstens in der Bibliothek. In den Buchhandlungen standen auch sehr viele, aber immer die gleichen - laufende Meter derselben Bände.
Hier aber waren alle Titel verschieden. Es gab alte Bücher mit vergilbten Seiten; einige waren angesengt, andere, zu Maxims Verwunderung, spürbar radioaktiv. Doch er hatte keine Zeit, sie gründlich durchzusehen und las nur die Titel. Ja, hier standen weder Bücher wie »Kolizu Felsch oder Der tollkühne Brigadegeneral und seine Heldentaten« noch Romane
wie »Liebe und Hingabe des Zauberers« oder voluminöse Poeme wie »Flammendes Frauenherz«, auch keine Aufklärungsbroschüren wie »Grundlagen der Sozialhygiene«. Maxim entdeckte viele ernsthafte Werke: »Evolutionstheorie«, »Probleme der Arbeiterbewegung«, »Finanzpolitik und wirtschaftliche Gesundheit des Staates«, »Hunger - Stimulus oder Hemmnis«, dazu »Kritiken«, »Lehrgänge«, »Grundlagen« und weitere Termini, die er nicht kannte. Hier gab es Sammlungen mittelalterlicher hontischer Dichtung, Märchen und Balladen von Völkern, die Maxim nicht kannte, die vierbändigen Gesammelten Werke eines gewissen T. Kuur und viel Belletristik: »Sturm und Gras«, »Der Mann, der das Weltlicht war«, »Inseln ohne Blau« und viele Bücher in unbekannten Sprachen, weitere Bücher über Mathematik, Physik, Biologie, dann wieder Belletristik …
Er packte die beiden Bündel und verharrte ein paar Sekunden. Sein Blick wanderte durch das Zimmer: leere, umgestürzte Regale, dunkle Flecken, wo früher Bilder hingen, die Bilder aus den Rahmen gerissen, zertreten, aber keinerlei Anzeichen zahnärztlicher Technik. Er nahm die Bücher und ging zur Tür, entsann sich dann aber seiner Maschinenpistole und kehrte noch einmal um. Auf dem Tisch lagen unter Glas zwei Fotografien. Eine zeigte die durchsichtige Frau, sie hielt einen etwa vierjährigen Jungen mit staunend aufgerissenem Mund auf den Knien und war jung, zufrieden, stolz. Das andere war eine eindrucksvolle Gebirgsaufnahme, mit dunklen Baumgruppen, einem alten, halb zerfallenen Turm. Maxim hing sich seine Waffe um und ging zurück zu den Bündeln.
7
Morgens nach dem Frühstück trat die Brigade auf dem Exerzierplatz an, zwecks Befehlsausgabe und Ausrücken zu den Übungen. Für Maxim war das die qualvollste Prozedur des Tages, wenn man von den Abendappellen einmal absah. Die Befehlsausgabe endete jedes Mal mit geradezu paroxystischer Ekstase: blind, sinnlos und unnatürlich, ohne jeden Grund und für jeden Außenstehenden ganz und gar unangenehm. Maxim unterdrückte seinen unwillkürlichen Abscheu gegen diesen Irrsinn, der die gesamte Brigade vom Kommandeur bis zum Anwärter erfasste. Er sagte sich, er sei wohl einfach nicht imstande, die Begeisterung nachzufühlen, die die Gardisten für die Tätigkeit der Brigadekanzlei aufbrachten. Er schalt sich für seinen Skeptizismus, den er als Fremder an den Tag legte, versuchte, selbst Begeisterung zu empfinden und redete sich ein, unter den schweren Bedingungen, die im Land herrschten, zeugten solche Ausbrüche von Massenenthusiasmus von der Geschlossenheit der Leute, von ihrer Einmütigkeit und Bereitschaft, sich ganz der gemeinsamen Sache zu widmen. Und dennoch: Es fiel ihm schwer.
Von klein auf war Maxim zu Zurückhaltung und Selbstironie erzogen worden, zum Abscheu vor großen Worten im Allgemeinen und vor feierlichen Chorgesängen im Besonderen. Und so war er fast böse auf seine Kameraden - eigentlich liebe, aufrechte und großartige Jungs -, wenn sie, nachdem man den Befehl verlesen hatte, Anwärter A werde wegen eines Streits mit dem Soldaten B mit drei Tagen Arrest bestraft, plötzlich ihre Gutmütigkeit und ihren Humor vergaßen, die Mäuler aufrissen und begeistert »Hurra« schrien, um dann mit Tränen in den Augen den »Marsch der
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