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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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eigenen Leibe, aber sie wußte nicht mehr, wie und wann das war. Denn seither hatte ein schwaches Alltagsleben sich über diese Eindrücke gelegt und hatte sie verwischt, wie ein matter dauernder Wind Spuren im Sand; nur mehr seine Eintönigkeit hatte in ihrer Seele geklungen, wie ein leise auf und ab schwellendes Summen. Sie kannte keine starken Freuden mehr und kein starkes Leid, nichts, das sich merklich oder bleibend aus dem Übrigen herausgehoben hätte und allmählich war ihr Leben ihr immer undeutlicher geworden. Die Tage gingen einer wie der andere dahin und eines gleich dem anderen kamen die Jahre, sie fühlte wohl noch, daß ein jedes ein wenig hinwegnahm und etwas hinzutat und daß sie sich langsam in ihnen änderte, aber nirgends setzte sich eines klar von dem anderen ab; sie hatte ein unklares, fließendes Gefühl von sich selbst und wenn sie sich innerlich betastete, fand sie nur den Wechsel ungefährer und verhüllter Formen, unverständlich, wie man unter einer Decke etwas sich bewegen fühlt ohne den Sinn zu erraten. Es war wie wenn sie unter einem weichen Tuche lebte oder unter einer Glocke von dünn geschliffenem Horn, die immer undurchsichtiger wurde. Die Dinge traten weiter und weiter zurück und verloren ihr Gesicht, und auch ihr Gefühl von sich selbst sank immer tiefer in die Ferne. Es blieb ein leerer ungeheurer Raum dazwischen und in diesem lebte ihr Körper. Er sah die Dinge um sich, er lächelte, er lebte, aber alles geschah so beziehungslos, und häufig kroch lautlos ein zäher Ekel durch diese Welt, der alle Gefühle wie mit einer Theermaske verschmierte.
    Und dann kam er, der alles besaß, durch die verdämmernde Einöde ihres Lebens. Er ging, und die Dinge ordneten sich unter seinen Augen. Es war, wie wenn er die Welt einatmen und im Leibe halten und von innen spüren könnte und sie dann wieder ganz sacht und vorsichtig vor sich hinstellte, wie ein Künstler, der mit fliegenden Reifen arbeitet; es tat ihr weh, wie schön er war. Sie war eifersüchtig auf ihn, denn unter ihren Augen ordnete sich nichts, und sie hatte zu den Dingen die Liebe einer Mutter für ein Kind, das zu leiten sie zu gering ist. Sie suchte sich in die Höhe zu richten, aber es schmerzte sie, wie wenn ihr Körper krank wäre und sie nicht tragen könnte. Und sie sank langsam wieder in sich zurück und kauerte in ihrer Finsternis und starrte ihn an und empfand dieses sich in sich Verschließen fast wie eine sinnliche Berührung, der sie sich lüstern vor Bewußtsein hingab, es ganz nahe seinen Augen und doch ihm unerreichbar zu tun. Es sträubte sich etwas in ihr wie ein weiches, knisterndes Katzenfell und wie eine kleine glitzernde Kugel ließ sie ihr Nein aus ihrem Versteck heraus und vor seine Füße rollen.
    Und nun war es, wie wenn etwas mit einem leisen Klingen zersprungen wäre und wie aus einer zerbrochen am Boden liegenden Hülle war ihr daraus ein Gefühl von ihr selbst hervorgestiegen; es war plötzlich so fest, daß sie sich wie ein Messer in dem Leben dieses anderen Menschen fühlte. Es war alles klar gegliedert; er wird gehen und sich töten, das war etwas so Wuchtendes, wie ein dunkler schwerer Körper auf der Erde liegt, es war etwas so Unwiderrufliches wie ein Schnitt durch die Zeit, vor dem alles Strömende erstarrte, es sprang dieser Augenblick mit einem plötzlichen Blinken wie ein Schwert aus allen anderen heraus und sie sah ganz deutlich etwas, das man gar nicht sehen kann, wie die Beziehung ihrer Seele zu dieser anderen Seele, in ihrer augenblicklichen Lage, ein Durchgangsding, ein Ausholen und Übergang, plötzlich zu etwas Letztem, Unverrückbarem, Unabänderlichem wurde, das wie ein Aststumpf in die Ewigkeit ragte. Eine Traumhelligkeit stieg in ihr auf, in der das feinste Geschehen wie zartes Geäder sichtbar wurde, ein geheimnisvolles, neues Licht lag auf den Dingen und sie fühlte es auf sich, sie veränderte sich darin für sich selbst, sie war fast nur mehr eine Gestalt, wie sie durch die Bilder der Schlafenden schreiten ... Sie konnte vielleicht schon glauben, daß jenes Liebe war, sie war schon von Zärtlichkeit für ihn erfüllt, dem sie alles dankte; ... aber sie schritt durch eine andere Welt, und eine Lust ihm weh zu tun, trug dort Viktoria wie eine leichte Luft, die sie mit bebendem Wittern einatmete, die sie erfüllte und hob, und in der ihre Gebärden ausfuhren, in die Ferne griffen, in der sich ihre Schritte mit einem leisen Druck vom Boden lösten und über Wälder hoben.

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