Gesammelte Werke
entgegenhübe. Seine Haare wurden dann wie ein Wald und seine Nägel wurden wie große glimmrige Platten, sie sah feuchtfließende Wolken im Weißen seiner Augen und kleine spiegelnde Teiche; er lag ganz wehrlos häßlich da, mit geöffneten Grenzen, aber seine Seele war doch noch in einem letzten Turm verschlossen. Und Viktoria beugte sich tiefer über ihn, sie beugte sich ganz nahe über ihn, sie beugte sich in ihn hinein bis zu jenem innersten Widerstand, über den kein Fremder hinweg kann, sie versuchte sich noch über diese Grenze zu beugen. Und sie sah durch seine Augen, wie jemand, dem es gelingt, sich für einen Blick an ein hohes Turmfenster zu zwängen; sie wußte, daß dieser Blick nie wieder in sie zurückkehren werde. Er traf sie von außen; er traf sie wie etwas Fremdes, sie glänzte von Gold wie ein Spiegel, von Gold und doch nur ein Spiegel, in dem seine Seele aus dem Turm herunter sich ansah. Denn die Seele, die lebende Menschen haben, ist das, was sie nicht lieben läßt, was in aller Liebe einen Rest zurückbehält, was in aller Liebe: nur sich ansieht; sie können sich nicht verschenken; sie bleiben immer sie selbst, sie kommen mit gefesselten Händen und geschlossenen Augen, um sich hinzugeben und doch lieben sie den anderen nur, weil ihre Einsamkeit leise hinter ihm blutet.
Aber wie in tausend zärtlich vorsichtigen Falten schmiegte sich jetzt schützend ein unsagbares Glück um Viktoria: «Du bist tot», träumte ihre Liebe; sie nannte ihn zum erstenmal Du und die Lichter spiegelten sich warm in ihren Träumen. Sie saß zwischen ihnen wie in einem blauen kristallenen Hause und hörte ihr Herz wie eine kleine gläserne Uhr darinnen, die die Stunden ihres Lebens zurück und herbeirief. Sie saß mit der Kunkel und spann an Fäden zu ziehenden Bildern, denn nun hatte er keine Seele. Ihre Liebe aber lag groß und sanft über ihm wie eine Katze, die in zärtlichen Träumen schnurrt. Wie ein murmelndes Wasser rannen die Stunden, ... sie verlor das Gefühl für die Zeit.
Als sie aufschrak, empfand sie zum erstenmal Kummer. Es war kühl um sie, die Kerzen waren herabgebrannt und nur eine letzte leuchtete noch; auf dem Platz, wo sonst er immer gesessen hatte, war jetzt ein Loch im Raum, das alle ihre Gedanken nicht füllen konnten. Und plötzlich verlosch lautlos auch dieses eine Licht, wie ein letzter Weggehender leise die Türe schließt; Viktoria blieb im Dunkel.
Demütig wandernde Geräusche gingen durch das Haus, die Stiegen schüttelten mit einem scheuen Dehnen den Druck der Schreitenden wieder von sich ab, irgendwo nagte eine Maus, eine Uhr schlug. So messen sie mir wie aus einem großen Sack, aus dem sie alle nehmen, die Stunden meines Lebens zu, fühlte Viktoria und sie ängstigte sich wieder mitten in diesem fremden umspannenden Dasein. Aber etwas wie eine nadeldünne Stütze hielt sie und hielt sie hinein. Es redeten, hörbar in der Nacht, die unentwirrbar verwobenen Stimmen der Dinge: was war dies in ihr, das mit einer fern und unfaßbar dahingehenden leisen Melodie antwortete? Was war diese feine, nagende Seligkeit trotz ihres Kummers, die ihren Körper höhlte, bis er sich weich und zärtlich wie eine dünne Kapsel trug? Es lockte sie, sich zu entkleiden. Bloß für sich selbst, bloß für das Gefühl, sich nahe zu sein, mit sich selbst in einem dunklen Raum allein zu sein. Es erregte sie, wie die Kleider leise knisternd zu Boden sanken; es war eine Zärtlichkeit, die ein paar Schritte in die Dunkelheit hinaustat, als ob sie jemand suchte, sich besann und zurückeilte, um sich an den eigenen Körper zu schmiegen. Und als Viktoria langsam, mit zögerndem Genießen ihre Kleider wieder aufnahm, waren diese Röcke, die in der Finsternis mit Falten, in denen wie Teiche in dunklen Höhlen träg noch ihre eigene Wärme säumte, und bauschigen Räumen um sie stiegen, etwas wie Verstecke, in denen sie kauerte, und wenn ihr Körper hie und da heimlich an seine Hüllen stieß, zitterte eine Sinnlichkeit durch ihn, wie ein verborgenes Licht hinter geschlossenen Läden unruhig durch ein Haus geht.
Es war dieses Zimmer; Viktoria fühlte, wie sonderbar sich manchmal die Ereignisse gleichen. Ihr Blick suchte den Platz, wo an der Wand der Spiegel hing, und fand ihr Bild nicht; sie sah nichts, ... vielleicht ein undeutlich gleitendes Leuchten im Dunkel, vielleicht mochte auch dies Täuschung gewesen sein. Die Finsternis füllte das Haus wie eine schwere Flüssigkeit, sie schien nirgends darin zu sein,
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