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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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eindringlich und die Vögel hatten noch nie so laut und menschenähnlich gesungen und zwischen den Wiesen stand jeder Baum groß und unverrückbar und von seinem Platz getragen.» – Veronika neigte sich vor, man merkte es nicht in der Finsternis und ihre Augen fingen dabei einen Schein vom Fenster und begannen zu leuchten wie Faulholz im Dunkeln. «So fest!?» fragte sie. «So fest und scharf in die Welt gegraben wie mit der Stichel, Vroni, jeder Laut, jede Linie, jedes Leuchten im Auge eines vorüber laufenden Tiers. Nur noch ein wenig anders als sonst, trotzdem ein jedes so ganz bei sich war, schien jedes doch ein wenig verändert, wie abgestimmt aufeinander, eine Ähnlichkeit, nein keine Ähnlichkeit, aber etwas wie eine Ähnlichkeit zwischen allem, ja, wenn Sie mich noch verstehen, möchte ich sagen eine Ähnlichkeit wie mit nach aufwärts gewandtem Antlitz; als ob jedes nur so klar dastünde, damit man erfaßt, daß es nicht bloß so da ist, wie man geglaubt hat, sondern daß es ein Glied ist, mit dem ein ganz andrer Sinn gemeint ist als der, zu dem man sonst flüchtig und halbverstanden die Dinge zusammensetzte, – ein übermenschlicher Sinn – Sein Sinn. Ich fühlte plötzlich, wie er sachte alles bewegt. Er nimmt das Prahlerische das in allem Großen ist und das Liebliche, das hinter jedem Widrigen ist, wie ein bittendes Lächeln in einem häßlichen Antlitz, und er macht das eine stiller und das andere trauriger, er fängt die Stimmen der Vögel im Wald, damit das Knarren eines Tors, durch das einer zum letztenmal davonschritt sich tiefer in die Welt gräbt, er glättet die Falten im Gesicht einer Toten wegen der Lichter in den Augen eines Tiers, er quält einen Mann weil ein Baum fest über der Erde ragt, langsam verrückt er erst die Schatten der Dinge, auf daß sie sich zueinander ordnen und gewaltig greift er am Ende nach jedem und packt es wie ein Sinn die Worte oder Linien, wie eine Melodie die Töne – Vroni! wenn Sie mich verstehen: allein taugt der Mensch nichts! Das ist unfruchtbare Hoffart! Er gehört in die Welt, wie ein Glied in eine Harmonie. Man darf sie nicht durch seinen besonderen Willen entstellen, man muß sich Seinem Sinn hingeben, muß sich in ihn geben. Den Atem seiner Lust fühlen – Dann erst – ja glauben Sie es, dann fühlt man alles so fest und sicher als hielte Er einen an den Haaren auf dem richtigen Platze fest und ich ging zwischen den Dingen wie ein Bruder und wußte daß ich nicht das Kleinste unnütz tat, denn ich fühlte Seinen Sinn in mir, in jeder Gebärde, die ich tat, wie den Wind in den Segeln ...»
    Veronika schauderte. Sie hatte diese Worte vorausgefühlt, sie kannte sie, es war eine List von ihr, den Priester zum Reden zu bringen. Es war ihr eigentümliches Spiel, durch das Dunkel und unverfängliche Gegenreden gedeckt, seine Worte wie zahnige Pflugscharen in ihrer Seele zu fühlen. Denn er selbst blieb ihr dabei ganz unpersönlich, sie hatte nie neben ihm das Gefühl wie ein Weib zum Manne aber von seiner Sachlichkeit, von dem Inhalt seiner Seele ging eine Kraft aus, die sie unterwühlte. Diese Gespräche gingen in ihren dunklen Kleidern dahin mit der Sicherheit von Fremden aus einem mächtigen wohlgeordneten Staate. Und diese Sicherheit begriff sie. Sie begriff, daß da ein Leben vor ihr stand, das ganz rund und in sich geschlossen ruhte und von sich selbst gesättigt war, ein Leben das nicht voll Abwehr in sich zusammengekauert war, sondern dem sich von allen Dingen geschwisterliche Hände entgegenstreckten. Sie suchte sich das vorzustellen. Es mußte aus einem herausströmen und die Dinge ergreifen wie eine Welle Blutes – und wie eine Welle eigenen Blutes mußte es manchmal langsam, langsam von den Dingen wieder zurückströmen, und manchmal mußte es sein, wie wenn einer die ganze Welt einatmen und in seinem Leibe tragen und von innen spüren könnte und dann ausatmen und so zärtlich sacht und vorsichtig gespannt vor sich hinstellen könnte, wie ein Künstler, der mit tausend fliegenden Reifen arbeitet – Und es kam eine quälende Unruhe in ihr Dasein ––
    Sie konnte sich das aber so nur vorstellen, wenn sie an ihn dachte. Wenn sie auf sich selbst blickte, verließ sie die Stimmung. Und trotzdem begriff sie zum erstenmale, daß auch diese dunklen Kräfte in ihr danach verlangten sie in die Weite ruhig u schlank wie eine Brücke zu wölben und spannen. Es kam in ihr Dasein eine geheimnisvolle Unruhe, die sich bis zu quälender Ungeduld steigerte.

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