Gesammelte Werke
Nachbarskinder geschlagen wurden und sie sie schreien hörte, suchte sie nach einem Fenster, von dem aus sie zusehen konnte oder stellte sich wenigstens alles mit eindringlichster Lebhaftigkeit vor und wünschte, daß sie noch immer heftiger geschlagen würden. Denn obwohl ihr Kinderstolz durch die Züchtigung ihrer Spielgenossen sich entehrt fühlte, war gerade in solchem Geschehnis irgend etwas das in seiner Ungerechtigkeit so stark und eindringlich war, daß die Lust, sich an die harte kantige aus dem Alltäglichen vorspringende Form dieses Geschehens bis zum Wehtun zu pressen und es so scharf als es ging in sich einzugraben, alles andere verdrängte.
Seither hatte sich aber das schwache Alltagsleben eines Mädchens in bürgerlichem Hause einer Kleinstadt über diese Eindrücke gelegt und hatte sie bis zur Unkenntlichkeit verwischt wie ein matter, dauernder Wind Spuren im Sand. Sie verstand sie nicht mehr Sie sah nur etwas Kurioses in ihnen Dieses gleichmäßig ebene Leben hatte Veronika geformt und seine Eintönigkeit klang in ihrer Seele wie ein leise auf und abschwellendes Summen. Sie kannte keine starken Freuden und kein starkes Leid, nichts was sich merklich oder bleibend aus dem Übrigen herausgehoben hätte. Sie tat ihre häuslichen Pflichten, weil ihr nie der Gedanke gekommen war, daß es möglich sei, sie nicht zu tun, und keine Vorstellung eines anderen Lebens sie beunruhigte. Sie tat sie ohne Liebe und ohne Abscheu, als etwas Selbstverständliches.
Aber so klar und geregelt dieses ihr Leben dahinfloß, wie ein helles stilles Wasser, es erschien ihr dennoch wie etwas Undeutliches. Die Tage gingen einer wie der andere dahin und eines gleich dem anderen kamen die Jahre und sie fühlte wohl noch daß ein jedes ein wenig hinwegnahm u etwas hinzutat und daß sie sich langsam in ihnen änderte, aber nirgends setzte sich eines klar von dem anderen ab. Sie hatte ein unklares, fließendes Gefühl von sich selbst, wie wenn sie sich betasten wollte und nur ungefähre u verhüllte Formen fände, geheimnisvoll wie man unter einem Tuche etwas sich bewegen fühlt ohne es zu erkennen.
Selbst von den Veränderungen ihres Körpers hatte sie nur dieses undeutlich u gehemmt murmelnde Gefühl. Ihre kleinen Brüste einst waren spitz und hart und neugierig rotgeschnäbelt gewesen und sie waren es nicht mehr; sie hatten sich schon ein ganz klein wenig gesenkt und waren ein bischen so traurig wie zwei liegengelassene Papiermützchen auf einer weiten Fläche, denn der Brustkorb hatte sich flach in die Breite gestreckt und das sah aus, wie wenn der Raum um sie davongewachsen wäre. Aber sie wußte das nicht, wie man es sonst weiß, denn sie sah nie in den Spiegel, wenn sie nackt war, – im Bade oder beim Umkleiden – weil sie dabei nur das tat, was eben zur Sache gehörte. Und trotzdem wußte sie es. Es kam ihr manchmal vor, wie wenn sie sich früher in ihre Kleider hätte einschließen können, ganz fest und nach allen Seiten, während sie sich jetzt nur mit ihnen bedeckte, u zuweilen schien ihr als könnte sie sich, wenn sie ganz allein war, vorsichtig von innen her befühlen und ihr war dabei, als ob das früher wie ein runder, gespannter Wassertropfen gewesen sein mußte, während es jetzt wie eine kleine weichgeränderte Lacke war. Ganz breit und schlaff und spannungslos war dieses Empfinden, das sie von sich hatte. Und es wäre wohl überhaupt nichts wie Trägheit und müde Lässigkeit gewesen, wäre hier nicht wieder etwas Merkwürdiges dabeigewesen, hätte sie sich nicht dabei so ganz sonderbar bei sich selbst gefühlt, wie wenn sich etwas unvergleichlich Weiches in tausend zärtlich vorsichtigen Falten ganz, ganz langsam von innen her an sie schmiegen würde u. so als ob die Verwüstung, die sie dunkel fühlte eine traurige Zärtlichkeit bedeuten würde.
Früher wenn ihre Freundinnen heirateten, dachte sie wohl auch daran wie junge Mädchen denken, und an Küssen und Beisammensein, aber schon damals nie so wie an etwas, das auch für sie in jedem Augenblicke wirklich werden könnte, weder mit Ungeduld noch mit Verzichten oder auch nur wie an ein Geschehen, zu dem man irgend etwas tun konnte. Jetzt aber dachte sie nicht einmal mehr so daran; wenn ein Mann in dieser Weise in den Kreis ihres Lebens trat, so empfand sie ihn zwar ein bischen stärker als sonst, aber das hob ihn doch nur so ganz wenig aus den andern hervor, mit einer Sehnsucht, die nur so leise und verworren sinnlich war wie das unbestimmte, wehe Ziehen
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