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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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Ihr war, es würde sich etwas in ihr heben und heben und dumpf bewegen wie ein Kind im Leibe der Mutter und konnte doch nicht ans Licht, denn wenn es weg war konnte sie nichts in sich finden. Sie durchsuchte sich eindringlicher als sonst. Es blieb ihr aber nichts als eine dunkle Erinnerung wie an eine wichtige vergessene Sache. Statt der trägen Sicherheit, die sie besessen, befiel sie jetzt die Unsicherheit des Suchens. Sie fühlte, daß sie suchte und noch nicht hatte. Schließlich bildete sich in ihr die Vorstellung, daß es diese unaufgefundene vergessene Sache sei, die wie ein Schleier darüber liege. – Sie hatte einmal von einem Mädchenzimmer gehört, das ganz weiß war, und es verknüpfte sich ihr damit die unklare Ahnung eines Lebens von ganz besonders zart und vorsichtig gegliederter Schönheit. Nun dachte sie, wenn sich eines Tages der Schleier von ihrem Leben heben werde, wird es sein, wie wenn junge Mädchen in weißen Kleidern über eine Landschaft gehen, die voll glitzerndem, weißem Schnee und blühender Kirschen ist.
    Und Veronika wartete, sie wartete
    Eines Tages geschah dann das, was in ihr Leben jene sonderbare Wendung brachte Der Priester mußte abreisen. Cäcilie war längst schon fort, die Frau des Bauern war in den Wochen gestorben und sie gingen den Weg zum Fuchsengut. –
    Veronika staunte. Sie versuchte alle möglichen Gedanken, um den zu finden, der ein Hinausschieben der Abreise ermöglichen könnte. Sie hatte die gewagtesten Vorschläge bis zu den albernsten Einfällen, die sie nicht losließen und beinahe zur Aussprache gedrängt hätten. Sie müdete sich an ihnen ab und schließlich blieb nur die Verwunderung. Denn sie fühlte in sich ein Strömen und Ziehen, durch die ganze lange Reihe der vergangenen Jahre her bis in die unsicheren Gefühle ihrer Kindheit hinein, und hier erstarrte es, hier brach eine Vollendung, die sie in diesem Augenblick von weither kommen fühlte, mit einem jähen Stillstehen und sich nicht mehr rühren Können ab, sie spürte diesen Augenblick wie ein plötzliches Blinken aus allen anderen herausspringen und dann wie einen Schnitt und sie sah ganz deutlich etwas das man gar nicht sehen kann, wie die Beziehung ihrer Seele zu dieser andern Seele in ihrer augenblicklichen Lage, ein Durchgangsding, ein Ausholen und Übergang plötzlich zu etwas Letztem, Unverrückbarem, zu etwas wurde, das wie ein Aststumpf in die leere Ewigkeit ragte. Sie sah – wie nach rückwärts gewandt sah sie ihr Leben und dieses andere Leben so nebeneinander als ob aus ihnen beiden etwas Drittes bestanden hätte, ein Mehr, etwas, das es nicht gab und doch so gab wie einen Ruf in zwei Tönen oder wie zwei hölzerne Balken zum Schweigen eines Kreuzes werden. Aber sie sah es nur mehr am Auseinandergefallensein
    Und sie erfaßt diese Gestaltqualität als ein Sonderbares – Sie fühlt Dinge, die das Leben mit einem vorhat – Und als ob sie durch all dies nur hätte aufgelockert werden sollen, steigt die Erinnerung in ihr herauf – Und dieses déjà connue verstärkt erst recht das zu etwas da sein – Und diese abstrakten, kaum glaubwürdigen Dinge gewinnen das Relief der Wirklichkeit – Und wie davon beleuchtet sieht sie auch ihre Beziehung zu dem Priester mit diesem Relief – Sie spürt ihn plötzlich als einen Widerstand vor dem, was er ihr hätte werden sollen, sie fühlt Feindseligkeit u. die Bedrängnis des Weibchens – und halb schon wieder unter dem Schleier, wie ein Zurücksinken kommt die Schneckensehnsucht, die mystische Vereinigung u ein wehrlos weiches Entsetzen, weil doch nicht mehr wird was werden soll u es trotzdem schön und betörend ist. –
    Es war irgend etwas da – ein Erlebnis – das ihr Widerwillen gegen das Gattungsmäßige eingeflößt hatte – mit dem Priester war nun etwas, das anderer Art war, deswegen hier die Intensitätssteigerung – und gleich die Fortsetzung in den drei Träumen wie im Durchbrechen dieser zweiten Wirkung des Gattungsmäßigen.
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Drei Frauen
    Novellen
    [Rowohlt Verlag, 1924]
Grigia
    Es gibt im Leben eine Zeit, wo es sich auffallend verlangsamt, als zögerte es weiterzugehn oder wollte seine Richtung ändern. Es mag sein, daß einem in dieser Zeit leichter ein Unglück zustößt.
    Homo besaß einen kranken kleinen Sohn; das zog durch ein Jahr, ohne besser zu werden und ohne gefährlich zu sein, der Arzt verlangte einen langen Kuraufenthalt, und Homo konnte sich nicht entschließen, mitzureisen. Es kam ihm vor, als würde er

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