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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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dastehn?»
    Veronika drehte sich bedächtig und wie erstaunt nach ihm um. Sie spürte dabei etwas Heißes auf der Wange und merkte erst jetzt, daß auch sie, von der allgemeinen Rührung ergriffen, feuchte Augen bekommen hatte. Bevor sie aber noch antworten konnte, hatte sich schon die Apothekerin wieder gefaßt und begann zu sprechen und Cäcilie war plötzlich wieder erwacht und half ihr als ob es etwas zu verreden gälte.
    Nicht als ob Veronika häßlich gewesen wäre und keinen Anspruch auf ein Gefallen gehabt hätte. Sie war hoch und schlank und mit ihrem großen, etwas wollüstigen Mund, mit den starken Augenbrauen auf der niederen breiten Stirn und den feinen schwarzen über die ganze Länge des Arms verteilten Haaren, hätte sie zwar vielleicht unter den Bewohnern dieser kleinen Provinzstadt keinen Mann gefunden, wohl aber hätte sie gerade dadurch einen verwöhnteren Menschen und Liebhaber nicht gewöhnlicher Reize beunruhigen können, besonders aber noch durch einen Gegensatz, in dem ihr langes, schmales, fast ekstatisches Kinn zu ihrer anderen Erscheinung stand.
    Aber es war etwas in ihrem Wesen, etwas Unpersönliches, ein Beiseitestehen, daß man sich gar nicht denken konnte, sie möchte auch einmal Ansprüche an das Leben erheben oder gar so im Mittelpunkte eines Ereignisses stehen, wie Cäcilie gerade jetzt. Es war etwas in ihr, das sie zu einer ausgezeichneten Freundin machte, diese anderen Gedanken gerade deswegen aber fast wie eine Taktlosigkeit empfinden ließ. Und der Apotheker bekam es von seinen zwei Frauen zu hören, als er mit ihnen ausging, um noch schnell einen Abendbesuch zu machen.
    Veronika war in der Apotheke zurückgeblieben und hatte sich angeboten, die Sachen zu ordnen und in die Schränke zu räumen, die nach dem eiligen Abbruch der Anprobe noch überall umherlagen. Mit großen, eiligen Schritten ging sie durch die Zimmer und ihre Hände fanden mit einer unbedachten Sicherheit für alles rasch den richtigen Platz. Sie tat Selbstverständliches und nur zuweilen stand sie einen Augenblick still um auf den Schall ihrer Schritte zu horchen, der fremd von den Wänden zurückkam, hastig verstummend, wie wenn jemand heimlich ihre Bewegungen äffte, stets ein wenig zu spät käme und rasch es zu verwischen sich mühte. Veronika war fertig, aber sie ging nicht nach hause, sondern setzte sich auf die Wandbank im Dunkeln neben dem Stuhl des Apothekers und ließ die Hände zwischen den Knien auf dem gespannten Kleide ruhn. Sie schien nachzudenken. Sie war jetzt 28 Jahre alt und Cäcilie die letzte ihrer Jugendfreundinnen, die noch nicht geheiratet hatte. Veronika dachte darüber nach, wie es nun auch ohne dieser letzten sein werde. Sie dachte auch darüber nach, wie es nun Cäcilie ergehen werde. Aber sie dachte nur an diese Dinge daran, an die man bei einem Bekannten denkt, den man auf einer Reise weiß. Sie fühlte dabei nichts Entschiedenes. Weder einen Schmerz über den Verlust noch auch, daß Cäcilie fortab mit einem Manne leben werde, der Gedanke an diese Umwälzung, die sich im Geheimen vollzieht u. von dort aus das ganze Wesen ergreift, schien sie nicht zu beunruhigen, er schien gar nicht da zu sein für sie. – Vielleicht spürte sie sogar ein leises Behagen darüber, daß sie von morgen ab ganz allein sein werde. – Sie wunderte sich selbst über diese Teilnahmslosigkeit, besonders wenn sie der Thränen gedachte und der tiefen Bewegtheit, von der alle diese anderen Menschen bei diesem Ereignis ergriffen wurden. An ihr schien es wie etwas Lebloses vorüberzugleiten.
    Es war irgend einmal, daß sie dem Leben näher stand, es deutlicher spürte, wie mit den Händen oder wie am eigenen Leibe, aber sie wußte nicht mehr, wie und wann das war. Vielleicht als Kind, denn sie erinnerte sich, damals zuweilen ein eigentümlich erschrecktes und sie am ganzen Leibe erregendes Staunen der Dinge gefühlt zu haben. Wenn der Kuckuck sein Weibchen im Walde rief, lief sie ihm nach, von Baum zu Baum, in einem atemlosen Verlangen, ihn zu sehen, und stand verdutzt, wenn sie ihn hatte und nichts sah als einen großen bunten Vogel. Ein Hahn mit seinen Hennen konnte sie stundenlang auf einem Platze festhalten, denn sie wartete immer wieder auf den Augenblick, wo er, an allen Federn zitternd, eine Henne zu Boden drückte, während diese ihn dumm und gleichgültig gewähren ließ und gleich wieder weiterzufressen begann, während er noch wie verstört einen Augenblick neben ihr still stand. Wenn die

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