Gesammelte Werke
maßvoll steifen Stühle standen an die Wände gerückt, so daß der leere Fußboden das Zimmer mit dem gedunkelten Glanz seiner Quadrate überschwemmt zu haben und ein seichtes Becken zu füllen schien, in das man zögernd den Fuß setzte. Am Rande dieser stilvollen Unwirtlichkeit des Salons – denn das Arbeitszimmer, worin er sich am ersten Morgen niedergelassen hatte, war Ulrich überlassen geblieben – ungefähr dort, wo in einer ausgebrochenen Ecknische wie ein strenger Pfeiler der Ofen stand und eine Vase am Haupt trug (und genau in der Mittellinie seiner Vorderseite auf einem in Hüfthöhe rundum laufenden Bord einen einzelnen Leuchter), hatte sich Agathe eine höchstpersönliche Halbinsel geschaffen. Sie hatte eine Ottomane hinstellen lassen und ihr einen Teppich zu Füßen gelegt, dessen altes Rotblau gemeinsam mit dem türkischen Muster der Liegestatt, das sich in sinnloser Unendlichkeit wiederholte, eine üppige Herausforderung des zarten Grau und vernünftig-schwebenden Lineaments darstellte, die in diesem Raum kraft Urväterwillens zu Hause waren. Des weiteren beleidigte sie diesen zuchtvollen und vornehmen Willen durch eine grüne, großblättrige Pflanze von Mannshöhe, die sie von der Trauerausschmückung des Hauses zurückbehalten und samt dem Kübel sich als «Wald» zu Häupten gestellt hatte, – an die andere Seite als die große helle Stehlampe, die es ihr erleichtern sollte, im Liegen zu lesen, und die in der klassizistischen Landschaft des Zimmers wie ein Scheinwerfer oder ein Antennenmast wirkte. Dieser Salon mit seiner in Felder geteilten Decke, den Wandpilastern und Pfeilerschränkchen hatte sich seit hundert Jahren wenig verändert, weil er selten benutzt wurde und niemals recht in das Leben seiner späteren Besitzer einbezogen worden war; vielleicht mochten zur Zeit der Voreltern die Wände noch mit zarten Stoffen bespannt gewesen sein, statt des hellen Anstrichs, den sie jetzt trugen, und die Bezüge der Stühle konnten etwas anders ausgesehen haben, aber so, wie er sich jetzt darbot, kannte Agathe diesen Salon seit ihrer Kindheit und wußte nicht einmal, ob es ihre Urgroßeltern waren, die sich so eingerichtet hatten, oder fremde Leute, denn sie war in diesem Hause aufgewachsen und das einzig Besondre, was sie wußte, bestand in der Erinnerung, daß sie diesen Raum immer mit jener Scheu betreten habe, die man Kindern vor etwas einimpft, das sie leicht zerstören oder beschmutzen könnten. Nun aber hatte sie das letzte Symbol der Vergangenheit, die Trauerkleidung, abgelegt und wieder ihren Pyjama angezogen, lag auf dem rebellisch eingedrungenen Diwan und las schon seit dem frühen Vormittag gute und schlechte Bücher, die sie zusammengerafft hatte, worin sie sich zeitweilig unterbrach, um zu essen oder einzuschlafen; und als der so verbrachte Tag sich neigte, blickte sie durch das dunkelnde Zimmer zu den hellen Vorhängen, die sich, schon ganz in Zwielicht getaucht, wie Segel an den Fenstern bauschten, und fühlte sich dabei, als reise sie in dem harten Strahlenkranz ihrer Lampe durch den steif-zarten Raum und habe soeben angehalten. So war sie von ihrem Bruder gefunden worden, der mit einem Blick ihr beleuchtetes Etablissement erfaßte; denn auch er kannte diesen Salon und wußte ihr sogar zu erzählen, daß der ursprüngliche Besitzer des Hauses ein reicher Kaufmann gewesen sein solle, dem es später nicht wohl ging, wodurch sich ihr Urgroßvater, der kaiserlicher Notar war, bequem in die Lage versetzt gesehen hätte, das hübsche Anwesen zu erwerben. Auch sonst wußte Ulrich allerhand von diesem Salon, den er sich gründlich angesehen hatte, und besonderen Eindruck machte auf seine Schwester die Erklärung, daß man in ihrer Urgroßväterzeit eine solche steife Einrichtung geradezu als besonders natürlich empfunden habe; das fiel ihr nicht leicht zu verstehen, denn ihr kam sie wie die Ausgeburt einer Geometriestunde vor, und es brauchte eine Weile, ehe in ihr die Vorstellungsweise einer Zeit dämmerte, die von den aufdringlichen Formen des Barock so übersättigt war, daß ihr eigenes symmetrisches und etwas steifes Gehaben von der zarten Einbildung verhüllt wurde, im Sinn einer reinen, schnörkelfreien und als vernünftig gedachten Natur zu handeln. Als sie sich aber endlich diesen Wandel der Begriffe mit allen Einzelheiten, die Ulrich dazugab, vergegenwärtigt hatte, kam es ihr hübsch vor, viel zu wissen, was sie bisher, als gesamte Erfahrung ihres Lebens, verachtet hatte; und
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