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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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ist so ein Doppelwort» erklärte sie. «Es gibt auch andere: Lustmord zum Beispiel.»
    Nun fand es der Meister wohl gut, sich von nichts überrascht zu zeigen. «Doch, doch,» erwiderte er «ich weiß. Du hast ja einmal behauptet, daß es Lustmord sei, wenn man die Liebe in der üblichen Umarmung löscht.» Aber was sie mit dem Anziehen meine, wollte er wissen.
    «Gewährenlassen ist Mord» erklärte Clarisse mit der Schnelligkeit eines, der auf glattem Boden seine Kunststücke zeigt und vor Behendigkeit ausrutscht.
    «Weißt du,» gestand Meingast «jetzt kenne ich mich wahrhaftig nicht mehr aus. Nun sprichst du doch wieder von dem Kerl, dem Zimmermann. Was willst du von ihm?»
    Clarisse scharrte nachdenklich mit der Fußspitze im Kies. «Das ist das gleiche» antwortete sie. Und plötzlich sah sie zum Meister auf. «Ich glaube, Walter sollte mich verleugnen lernen» sagte sie in einem kurz abgeschnittenen Satz.
    «Ich kann das nicht beurteilen» meinte Meingast, nachdem er vergeblich eine Fortsetzung erwartet hatte. «Aber sicher sind die radikalen Lösungen immer die besseren.»
    Er hatte das bloß für alle Fälle gesagt. Aber Clarisse senkte nun wieder den Kopf, so daß sich ihr Blick irgendwo in Meingasts Anzug vergrub, und nach einer Weile näherte sie ihre Hand langsam seinem Unterarm. Sie hatte plötzlich unbändige Lust, diesen harten, mageren Arm unter dem weiten Ärmel anzufassen und den Meister zu berühren, der sich verstellte, als wüßte er nichts von den erleuchtenden Worten, die er über den Zimmermann gesagt hatte. Es waltete, während es geschah, in ihr die Empfindung, daß sie einen Teil von sich zu ihm hinüberschiebe, und in der Langsamkeit, mit der ihre Hand in seinem Ärmel verschwand, in dieser flutenden Langsamkeit, kreisten Trümmer einer unbegreiflichen Wollust, die von der Wahrnehmung herrührten, daß der Meister stillhalte und sich von ihr berühren lasse.
    Meingast aber sah aus irgendeinem Grund entgeistert auf die Hand, die seinen Arm in der Art umklammerte und an ihm hinanstieg, wie sich ein vielbeiniges Tier auf sein Weibchen schiebt; er sah unter den. gesenkten Augenlidern der kleinen Frau etwas zucken, das ungewöhnlich war: er begriff einen zweifelhaften Vorgang, der durch die Öffentlichkeit, in der er sich abspielte, ihn rührte. «Komm!» schlug er vor, freundlich ihre Hand entfernend: «Wenn wir hier stehen bleiben, sind wir allen zu sichtbar; wir wollen wieder auf und ab gehen!»
    Während sie nun auf und ab wandelten, erzählte Clarisse: «Ich ziehe mich rasch an; rascher als ein Mann, wenn es sein muß. Die Kleider fliegen mir auf den Leib, wenn ich so – wie soll ich das nennen? – wenn ich eben so bin! Das ist vielleicht eine Art Elektrizität; was zu mir gehört, ziehe ich an. Aber es ist gewöhnlich eine unheilvolle Anziehung.»
    Meingast lächelte zu diesen Wortspielen, die er noch immer nicht verstand, und suchte aufs Geratewohl nach einer eindrucksvollen Erwiderung. «Du ziehst also deine Kleider sozusagen an wie ein Held das Schicksal?» gab er zur Antwort.
    Zu seiner Überraschung blieb Clarisse stehen und rief aus: «Ja, gerade das ist es! Wer so lebt, fühlt das auch mit Kleid, Schuh, Messer und Gabel!»
    «Es ist etwas Wahres daran» bestätigte der Meister diese dunkel überzeugende Behauptung. Dann fragte er geradeswegs: «Wie machst du es eigentlich mit Walter?»
    Clarisse verstand nicht. Sie sah ihn an und gewahrte in seinem Auge plötzlich gelbe Wolken, die in einem wüsten Wind zu treiben schienen. «Du hast gesagt,» fuhr Meingast zögernd fort «daß du ihn in einer Weise anziehst, die ‹nicht recht› ist. Die also wahrscheinlich nicht die rechte einer Frau ist? Wie ist das? Bist du überhaupt gegen Männer frigid?»
    Clarisse kannte das Wort nicht.
    «Frigid ist,» erklärte der Meister «wenn eine Frau an der Umarmung der Männer kein Gefallen findet.»
    «Aber ich kenne doch nur Walter» wandte Clarisse eingeschüchtert ein.
    «Nun ja, aber nach allem, was du gesagt hast, müßte man es doch annehmen?»
    Clarisse war verblüfft. Sie mußte nachdenken. Sie wußte es nicht. «Ich? Ich darf doch nicht; ich muß es ja gerade hindern!» sagte sie. «Ich darf es nicht gelten lassen!»
    «Was du sagst!» Jetzt lachte der Meister unanständig. «Du mußt verhindern, daß du etwas empfindest? Oder daß Walter auf seine Kosten kommt?»
    Clarisse wurde rot. Aber damit wurde ihr auch klarer, was sie zu sagen habe. «Wenn man nachgibt, ertrinkt alles in

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