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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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Geschlechtslust» erwiderte sie ernst. «Ich erlaube der Lust der Männer nicht, sich von ihnen zu trennen und meine Lust zu werden. Darum ziehe ich sie schon an, seit ich ein kleines Mädchen war. Es ist etwas mit der Lust der Männer nicht in Ordnung.» Aus verschiedenen Gründen zog es nun Meingast vor, darauf nicht einzugehen. «Kannst du dich denn so beherrschen?» fragte er.
    «Ja, das ist verschieden» gab Clarisse aufrichtig zu. «Aber ich habe dir ja gesagt: ich wäre ein Lustmörder, wenn ich ihn gewähren ließe!» Eifriger werdend, fuhr sie fort: «Meine Freundinnen sprechen davon, daß man in den Armen eines Mannes ‹vergeht›. Ich kenne das nicht. Ich bin noch nie in den Armen eines Mannes vergangen. Aber ich kenne das Vergehen außerhalb der Umarmung. Du kennst es sicher auch; denn du hast doch gesagt, daß die Welt viel zu wahnfrei sei –!» Meingast wehrte mit einer Gebärde ab, als hätte sie ihn nicht recht verstanden. Aber nun war es ihr schon allzu klar: «Wenn du zum Beispiel sagst, daß man sich gegen das Minderwertige zugunsten des Höherwertigen entscheiden muß,» rief sie aus «so heißt das doch: es gibt ein Leben in einer Wollust, die ungeheuer und ohne Grenzen ist! Das ist nicht die des Geschlechts, es ist die Wollust des Genies! Und an der übt Walter Verrat, wenn ich ihn nicht hindere!»
    Meingast schüttelte den Kopf. Verneinung war in ihm bei dieser veränderten und leidenschaftlichen Wiedergabe seiner Worte, es war eine aufgescheuchte, beinahe ängstliche Verneinung; und von allem, was sie enthielt, erwiderte er das Zufälligste: «Es ist doch fraglich, ob er anders überhaupt könnte!»
    Clarisse blieb stehn, als hätte sie Blitzwurzeln in den Boden geschlagen. «Er muß!» rief sie aus. «Gerade du hast uns doch gelehrt, daß man muß!»
    «Das ist richtig» gab der Meister zögernd zu und mahnte durch sein Beispiel vergeblich ans Weitergehn. «Aber was willst du eigentlich?»
    «Siehst du, ich habe noch nichts gewollt, ehe du gekommen bist» sagte Clarisse leise. «Aber es ist doch so entsetzlich, dieses Leben, das aus dem Ozean der Lebenslüste nur das bißchen Geschlechtslust holt! Und jetzt will ich etwas.»
    «Danach frage ich dich doch» half Meingast nach.
    «Man muß zu einem Zweck auf der Welt sein. Man muß zu etwas ‹gut› sein. Sonst bleibt alles schrecklich verworren» gab Clarisse zur Antwort.
    «Hängt es mit Moosbrugger zusammen, was du willst?» forschte Meingast.
    «Das kann man nicht erklären. Man muß sehen, was daraus wird!» entgegnete Clarisse. Dann fügte sie nachdenklich hinzu: «Ich werde ihn entführen, ich werde einen Skandal heraufbeschwören!» Ihr Ausdruck veränderte sich dabei zum Geheimnisvollen. «Ich habe dich beobachtet» sagte sie plötzlich. «Es kommen und gehn bei dir geheimnisvolle Leute! Du lädst sie ein, wenn du glaubst, daß wir außer Haus sind. Es sind Knaben und junge Männer! Du sagst nicht, was sie wollen!» Meingast starrte sie fassungslos an. «Du bereitest etwas vor,» fuhr Clarisse fort «du setzt es in Gang! Aber ich –» stieß sie flüsternd hervor «ich bin auch so stark, daß ich mit mehreren gleichzeitig Freundschaft halten kann! Ich habe den Charakter und die Pflichten eines Mannes erworben! Ich habe im Umgang mit Walter männliche Empfindungen erlernt!...» Wieder griff ihre Hand nach Meingasts Arm. Man merkte ihr an, daß sie nichts davon wisse. Die Finger kamen in der Haltung von Krallen aus dem Ärmel hervor. «Ich bin ein Doppelwesen,» wisperte sie «das mußt du wissen! Aber es ist nicht leicht. Du hast recht, daß man dabei die Gewalt nicht scheuen darf!»
    Meingast sah sie noch immer verlegen an. Er kannte sie nicht in diesen Zuständen. Der Zusammenhang, den ihre Worte hatten, blieb ihm unverständlich. Für Clarisse war in diesem Augenblick nichts einfacher als der Begriff des Doppelwesens, aber Meingast fragte sich, ob sie etwas von seinem geheimen Umgang erraten habe und darauf anspiele. Es gab noch nicht viel zu erraten; er hatte erst vor kurzem begonnen, in Einklang mit seiner Männer-Philosophie einen Wandel in seinen Empfindungen wahrzunehmen und junge Männer an sich zu ziehn, die etwas mehr bedeuteten als Schüler. Aber vielleicht hatte er deshalb seinen Aufenthalt gewechselt und war hierher gekommen, wo er sich vor Beobachtung sicher fühlte; er hatte noch nie an eine solche Möglichkeit gedacht, und diese kleine, unheimlich gewordene Person zeigte sich anscheinend imstande vorauszuahnen, was

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