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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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jedesmal war es wie ein schlottrig-eingezogener, sobald er zu spielen aufhörte. Dann war alle Leichtigkeit weg, alles Geschehene war so gut wie nicht geschehen, und er konnte nur noch in der Art sprechen, daß die Kunst den Zusammenhang mit dem Volk verloren habe und alles schlecht sei. Er erinnerte sich daran und wurde mutlos. Er wehrte sich dagegen. Und Clarisse hatte gesagt: Man muß die Musik «bis zu Ende» spielen. Clarisse hatte gesagt: Man versteht etwas nur so lange, als man es selbst mitmacht! Clarisse hatte aber auch gesagt: Darum müssen wir selbst ins Irrenhaus! Der «innere Schirm» Walters flatterte halbeingezogen in unregelmäßigen Sturmstößen.
    Siegmund sagte: «Nervöse Menschen brauchen eine gewisse Führung, es ist zu ihrem eigenen Vorteil. Du hast selbst gesagt, daß du das nicht mehr dulden willst. Ich kann dir als Arzt und Mann auch nur das gleiche raten: zeig ihr, daß du ein Mann bist; ich weiß, daß sie sich dagegen wehrt, aber es wird ihr schon gefallen!» Siegmund wiederholte wie eine zuverlässige Maschine unermüdlich das, was nun einmal sein «Ergebnis» geworden war.
    Walter, in einem «Sturmstoß», antwortete: «Diese medizinische Überschätzung des geordneten Geschlechtslebens ist überhaupt von gestern! Wenn ich Musik mache, male oder denke, wirke ich auf Nahe und Ferne, ohne den einen zu nehmen, was ich den anderen gebe. Im Gegenteil! Laß dir nur gesagt sein, daß die private Lebensauffassung heute wahrscheinlich nirgends mehr eine Berechtigung hat! Auch in der Ehe nicht!»
    Aber der dichtere Druck war auf Seiten Siegmunds, und Walter segelte vor dem Wind zu Clarisse hinüber, die er während dieses Gesprächs nicht aus den Augen gelassen hatte. Es war ihm unangenehm, daß man von ihm sagen könnte, er sei kein Mann; er kehrte dieser Behauptung den Rücken, indem er sich von ihr zu Clarisse hintreiben ließ. Und auf halbem Wege fühlte er zwischen den sich ängstlich entblößenden Zähnen, daß er mit der Frage beginnen müsse: «Was soll es heißen, daß du von Zeichen redest!?»
    Aber Clarisse sah ihn kommen. Sie sah ihn schon auf seinem Platz schwanken, als er noch stand. Dann wurden seine Füße aus der Erde gezogen und trugen ihn her. Clarisse machte das mit einer wilden Lust mit. Die Amsel flog erschreckt auf und nahm hastig ihren Wurm mit. Die Bahn war nun ganz frei für die Anziehung. Aber plötzlich überlegte es sich Clarisse anders und wich einer Begegnung diesmal aus, indem sie langsam längs der Hauswand das Freie suchte, ohne sich aber von Walter abzuwenden, aber schneller, als der Zögernde aus dem Bereich der Fernwirkung in den von Rede und Gegenrede gelangte.
    [◁]
27
    Agathe wird alsbald durch General Stumm für die Gesellschaft entdeckt
    Seit sich Agathe mit ihm vereinigt hatte, stellten die Beziehungen, die Ulrich mit dem großen Bekanntenkreis des Hauses Tuzzi verbanden, zeitraubende gesellschaftliche Aufgaben, denn die lebhaftere Wintergeselligkeit war trotz der vorgerückten Jahreszeit noch nicht zu Ende und die Teilnahme, die man Ulrich nach dem Tod seines Vaters erwiesen hatte, forderte als Gegengabe, daß er Agathe nicht verberge, wenn sie auch beide durch ihre Trauerpflicht davon enthoben waren, an großen Festlichkeiten teilzunehmen. Diese Trauerpflicht würde sogar, wenn Ulrich den Vorteil, den sie ihm darbot, in vollem Umfang ausgenützt hätte, dazu hingereicht haben, jeden geselligen Verkehr auf längere Zeit zu meiden und so aus einem Kreis von Personen auszuscheiden, in den er nur durch einen wunderlichen Zustand geraten war. Allein, seit ihm Agathe ihr Leben anvertraut hatte, handelte Ulrich im Gegensatz zu seinem Gefühl und überantwortete einem Teil von sich, den er in der herkömmlichen Vorstellung «Pflichten eines älteren Bruders» einquartiert hatte, viele Entscheidungen, zu denen er sich in ganzer Person unbestimmt verhielt, wenn er sie nicht gar mißbilligte. Zu diesen Pflichten eines älteren Bruders gehörte vornehmlich der Vorsatz, daß Agathes Flucht aus dem Haus ihres Mannes nicht anders enden solle als im Haus eines besseren Mannes. «Du wirst,» pflegte er zu antworten, sobald sie darauf zu sprechen kamen, daß ihr gemeinsames Leben gewisse Vorkehrungen verlange «wenn es so weiter geht, bald einige Heirats- oder zumindest Liebesanträge bekommen»; und entwarf Agathe Pläne, die über einige Wochen hinausreichten, so erwiderte er: «Bis dahin wird ja doch alles anders sein.» Es würde sie noch mehr verletzt haben,

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