Gesammelte Werke
Erleichterung, wenn man sich ärgert, seinen Zorn an jemand auszulassen, auch wenn er nichts dafür kann; aber weniger bekannt ist das von der Liebe. Trotzdem ist es auch da geradeso, und die Liebe muß oft an jemand ausgelassen werden, der nichts dafür kann, da sie sonst keine Gelegenheit findet. So war Feuermaul ein betriebsamer junger Mann, der im Kampf um den Nutzen recht ungut sein konnte, aber sein Liebesbock war «der Mensch», und sobald er an den Menschen im allgemeinen dachte, konnte er sich an unbefriedigter Güte kaum genugtun. Hans Sepp war dagegen im Grunde ein guter Kerl, der es nicht einmal übers Herz brachte, Direktor Fischel zu hintergehn, und sein Sündenbock dafür war «der undeutsche Mensch», auf den er den Groll gegen alles lud, was er nicht ändern konnte. Weiß der Himmel, was sie anfangs miteinander gesprochen hatten; sie werden wohl gleich ihre Böcke gegeneinander geritten haben, denn Stumm erzählte: «Ich begreife wirklich nicht, wie das gekommen ist: auf einmal sind andere dabei gewesen, dann hat es im Handumdrehn einen richtigen Auflauf gegeben, und schließlich sind alle, die in den Zimmern waren, um sie herumgestanden!»
«Und weißt du, worüber sie gestritten haben?» fragte Ulrich.
Stumm zuckte die Achseln. «Der Feuermaul hat dem anderen zugerufen: ‹Sie möchten hassen, aber das können Sie gar nicht! Denn die Liebe ist jedem Menschen eingeboren!› Oder so ähnlich war’s. Und der andere hat ihm zugeschrien: ‹Und Sie möchten lieben? Aber das können Sie noch viel weniger, Sie, Sie –› Genau kann ich’s wirklich nicht sagen, denn ich habe mich wegen der Uniform in einer gewissen Entfernung halten müssen.»
«Oh,» sagte Ulrich «das ist schon die Hauptsache!» und er wandte sich mit einem Blick, der den ihren suchte, an Agathe.
«Aber die Hauptsache war doch erst der Beschluß!» erinnerte Stumm. «Daß sie einander fast gefressen haben, und mir nichts, dir nichts ist daraus ein gemeinsamer und ganz gemeiner Beschluß geworden!»
Stumm machte in seiner vollen Rundheit den Eindruck geschlossenen Ernstes. «Der Minister ist auf der Stelle fortgegangen» berichtete er.
«Ja, was haben sie denn beschlossen?» fragten die Geschwister.
«Das kann ich nicht genau sagen,» erwiderte Stumm, «denn ich bin natürlich auch sofort verschwunden, und da waren sie noch nicht fertig. Man kann sich sowas auch gar nicht merken. Es ist irgend etwas zu Gunsten des Moosbrugger und gegen das Militär gewesen!»
«Moosbrugger? Ja, wie denn?» Ulrich lachte.
«‹Wie denn?›!» wiederholte der General giftig. «Du hast leicht lachen, aber mir bringt das eine so lange Nase ein! Oder zumindest eine tagelange Schreiberei. Weiß man denn bei solchen Leuten: ‹wie denn›?! Vielleicht war dieser alte Professor schuld, der heute überall für das Aufhängen und gegen die Milde gesprochen hat. Oder es ist geschehn, weil in den letzten Tagen wieder die Zeitungen die Frage dieses Scheusals aufgegriffen haben. Jedenfalls ist auf einmal von ihm die Rede gewesen. Das muß rückgängig gemacht werden!» erklärte er mit einer an ihm ungewohnten Festigkeit.
In diesem Augenblick traten kurz nacheinander Arnheim, Diotima, ja sogar Tuzzi und Graf Leinsdorf in die Küche. Arnheim hatte im Vorzimmer die Stimmen gehört. Er war im Begriff gewesen, sich heimlich zu entfernen, denn die eingetretene Unruhe verführte ihn zu der Hoffnung, daß er sich diesmal noch einer Aussprache mit Diotima entziehen könne, und anderntags wäre er wieder für eine Weile verreist gewesen. Aber die Neugierde verleitete ihn, in die Küche zu blicken, und da er von Agathe gesehen wurde, hinderte ihn die Höflichkeit, sich zurückzuziehen. Stumm bestürmte ihn sofort um Auskunft über den Stand der Dinge. «Ich kann es Ihnen sogar im originalen Wortlaut mitteilen» erwiderte Arnheim lächelnd. «Es war manches so drollig, daß ich mich nicht enthalten habe können, es heimlich niederzuschreiben.»
Er zog ein Kärtchen aus seiner Brieftasche, und seine stenographische Aufzeichnung entziffernd, las er langsam den Inhalt der geplanten Kundgebung vor: «‹Die vaterländische Aktion hat auf Antrag der Herren Feuermaul und› – den andern Namen habe ich nicht verstanden – ‹beschlossen: Für seine eigenen Ideen soll sich jeder töten lassen, wer aber Menschen dazu bringt, für fremde Ideen zu sterben, ist ein Mörder!› So war es vorgeschlagen,» fügte er hinzu «und ich hatte nicht den Eindruck, daß sich noch etwas
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