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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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Ulrich von neuem auf: «Also wie ist das mit dem Glaubenskrieg?» Ehe jedoch Ulrich etwas sagen konnte, unterbrach er ihn schon wieder mit den Worten: «Ich habe nämlich das Gefühl, daß auch deine Kusine durch die Zimmer irrt, dich zu suchen, und bin ihr nur dank meiner militärischen Ausbildung zuvorgekommen. Ich muß also die Zeit ausnutzen. Es ist nämlich nicht mehr schön, was drinnen vor sich geht! Man blamiert uns geradezu. Und sie, also wie soll ich das sagen? sie läßt halt die Zügel schleifen! Weißt du, was beschlossen worden ist?»
    «Wer hat beschlossen?»
    «Viele sind schon weggegangen. Manche sind dageblieben und hören sich die Vorgänge sehr genau an» umschrieb es der General. «Man kann nämlich nicht sagen, wer beschließt.»
    «Vielleicht ist es dann besser, du sagst zuerst, was sie beschlossen haben» meinte Ulrich.
    Stumm von Bordwehr zuckte die Achseln. «Nun ja. Aber ein Beschluß im geschäftsordnungsmäßigen Sinn ist es ja zum Glück auch nicht» führte er aus. «Denn alle verantwortlichen Leute hatten sich, Gott sei Dank, schon rechtzeitig zurückgezogen. Man kann also sagen, es ist nur ein Partikularbeschluß, ein Vorschlag oder ein Minoritätsvotum. Ich werde die Meinung vertreten, daß wir offiziell gar nicht davon Kenntnis haben. Das mußt du aber deinem Sekretär sagen, wegen dem Protokoll, damit gleich nichts davon hineinkommt. Entschuldigen Gnädige,» und er wandte sich an Agathe «daß ich so dienstlich rede!»
    «Aber was ist eigentlich geschehen?» fragte auch sie.
    Stumm machte eine vieles umfassende Gebärde. «Der Feuermaul, wenn gnädiger Frau dieser junge Mann erinnerlich ist, den wir eigentlich nur eingeladen haben, damit – also wie soll ich das sagen? – weil er ein Exponent des Zeitgeistes ist, und weil wir ja ohnehin auch die entgegengesetzten Exponenten haben einladen müssen: Man hat also hoffen dürfen, unbeschadet dessen, und sogar im Genuß gewisser geistiger Anregungen von den Dingen reden zu können, auf die es ja leider nun einmal ankommt. Ihr Bruder weiß das ja, gnädige Frau; es hatte der Minister mit dem Leinsdorf und dem Arnheim zusammengebracht werden sollen, um zu sehen, ob der Leinsdorf nichts gegen gewisse –: patriotische Auffassungen hat. Und absolut genommen, bin ich auch gar nicht unzufrieden,» – wandte er sich nun wieder vertraulich an Ulrich – «die Sache ist soweit in Ordnung gekommen. Aber während das stattfand, ist der Feuermaul mit den anderen –» hier sah sich Stumm genötigt, für Agathes Verständnis etwas einzufügen: «also der Exponent einer Auffassung, daß der Mensch gewissermaßen ein friedliches und liebevolles Geschöpf sei, mit dem man gut umgehen muß, mit den Exponenten, die ungefähr das Gegenteil behaupten, so daß man zur Ordnung nach ihnen eine starke Faust braucht und was sonst noch dazugehört – dieser Feuermaul ist mit diesen anderen in einen Streit geraten, und ehe man es hindern konnte, haben sie einen gemeinsamen Beschluß gefaßt!»
    «Einen gemeinsamen?» vergewisserte sich Ulrich.
    «Ja. Ich hab das nur so erzählt, wie wenn es ein Witz wäre» versicherte Stumm, dem die unfreiwillige Komik seiner Darstellung nachträglich selbst schmeichelhaft auffiel. «Das hat kein Mensch erwarten können. Und wenn ich dir erzähle, was für einen Beschluß, du wirst es nicht glauben! Da ich heute nachmittag den Moosbrugger quasi dienstlich habe besuchen sollen, wird sich außerdem das ganze Ministerium nicht ausreden lassen, daß ich selbst dahinterstecke!»
    Hier brach Ulrich in ein Gelächter aus und unterbrach in gleicher Weise auch die weiteren Ausführungen Stumms von Zeit zu Zeit, was nur Agathe ganz verstand, während ihm sein Freund wiederholt etwas gekränkt bemerkte, daß er nervös zu sein scheine. Aber was sich ereignet hatte, entsprach zu sehr dem Muster, das Ulrich seiner Schwester soeben erst entworfen hatte, als daß er sich nicht hätte freuen sollen. Die Feuermaul-Gruppe war im letzten Augenblick auf den Plan getreten, um zu retten, was noch zu retten wäre. Das Ziel pflegt in solchen Fällen undeutlicher zu sein als die Absicht. Der junge Dichter Friedel Feuermaul – in vertrautem Kreis aber Pepi genannt, denn er schwärmte für Alt-Wien und bemühte sich dem jungen Schubert ähnlich zu sehen, obwohl er in einer ungarischen Kleinstadt auf die Welt gekommen war – glaubte eben an Österreichs Sendung, und er glaubte außerdem an die Menschheit. Es lag auf der Hand, daß ihn ein

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