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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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und für sich verwenden oder auch verschwenden; aber dieser andere Zustand war nicht nur, wie es am nächsten lag, der feste des Wissens, sondern konnte, im Gegenteil, auch ein noch weniger stofflicher Zustand als das Glauben selbst sein: Und daß gerade in diese Richtung alles führe, was ihn und seine Schwester bewege, drängte Ulrich zur Aussprache; aber seine Gedanken waren noch weit von der Aussicht entfernt, sich dahin zu verbinden, und darum sprach er sich nicht aus, sondern wechselte lieber den Gegenstand, ehe er es tat. Auch ein genialer Mensch trüge ja ein Maß in sich, das ihn zu dem Urteil ermächtigen könnte, es gehe in der Welt auf schier unerklärliche Weise alles so zurück wie vorwärts; aber wer ist ein solcher? Ulrich hatte ursprünglich nicht das mindeste Verlangen, darüber nachzudenken; aber die Frage hielt ihn fest, er wußte nicht warum.
    «Man muß zwischen Genie als Art und als persönlichem Superlativ trennen» begann er und hatte noch nicht den rechten Ausdruck gefunden. «Manchmal habe ich früher gedacht, daß es, als die einzigen wichtigen Menschenrassen, überhaupt nur die des Genies und die des Dummkopfs gebe, die sich nicht gut vermischen. Die Menschen der Genieart oder die Genialen müssen aber nicht schon ein Genie sein. Dieses, das bestaunte Genie, entsteht so recht erst an der Börse der Eitelkeiten; in seinen Glanz strahlen die Spiegel der umgebenden Dummheit; es ist immer mit etwas verbunden, das ihm noch ein Ansehen dazu gibt, wie Geld oder Auszeichnungen: mag sein Verdienst also wie immer groß sein, ist seine Erscheinung doch eigentlich die ausgestopfte Genialität –»
    Agathe unterbrach ihn, neugierig auf das andere: «Gut, aber die Genialität selbst?»
    «Wenn du aus dem ausgestopften Popanz herausziehst, was bloß Stroh ist, müßte sie wohl übrigbleiben» sagte Ulrich, besann sich aber und fügte mißtrauisch hinzu: «Ich werde nie recht wissen, was genial ist, und weiß auch nicht, wer das entscheiden sollte!»
    «Ein Senat der Wissenden!» sagte Agathe lächelnd. Sie kannte ihres Bruders oft recht ideokratische Gesinnung, mit der er sie in manchem Gespräch geplagt hatte, und erinnerte ihn durch ihre Worte etwas scheinheilig an die berühmte, aber in zweitausend Jahren nicht befolgte Forderung der Philosophie, daß die Leitung der Welt einer Akademie der Weisesten anvertraut werden sollte.
    Ulrich nickte. «Das schreibt sich schon von Platon her. Und hätte es verwirklicht werden können, so wäre auf ihn an der Spitze des regierenden Geistes wahrscheinlich ein Platoniker gefolgt, und das so lange, bis eines Tages – Gott weiß warum – die Plotiniker für die wahren Philosophen gegolten hätten. So verhält es sich auch mit dem, was für genial gilt. Und was hätten die Plotiniker mit den Platonikern angefangen, und vorher diese mit ihnen, wenn nicht das, was jede Wahrheit mit dem Irrtum tut: ihn unerbittlich ausmerzen? Gott hat vorsichtig gehandelt, als er anordnete, daß aus einem Elefanten wieder nur ein Elefant hervorgeht, und aus einer Katze eine Katze: aus einem Philosophen geht aber ein Nachbeter und ein Gegenphilosoph hervor!»
    «Also müßte Gott selbst entscheiden, was genial ist!» rief Agathe ungeduldig aus, nicht ohne einen leichten stolzen Graus bei dieser Vorstellung zu empfinden und sich deren voreiliger Heftigkeit bewußt zu sein.
    «Ich fürchte, daß es ihn langweilt!» sagte Ulrich. «Wenigstens den christlichen Gott. Er ist erpicht auf die Herzen, ohne zu achten, ob viel oder wenig Verstand bei ihnen ist. Übrigens glaube ich, daß die kirchliche Geringschätzung der bürgerlichen Genialität manches für sich hat!»
    Agathe wartete etwas; dann erwiderte sie einfach: «Du hast früher anders gesprochen!»
    «Ich könnte dir antworten, daß der heidnische Glaube, alle den Menschen bewegenden Ideen hätten zuvor im göttlichen Geiste geruht, sehr schön gewesen sein muß; aber daß es schwer ist, an göttliche Ausströmungen zu denken, seit sich unter dem, was uns viel bedeutet, Ideen befinden, die Schießbaumwolle oder Pneumatik heißen» entgegnete Ulrich auf der Stelle. Dann schien er aber zu zaudern und des scherzenden Tons zu viel zu haben; und plötzlich gestand er seiner Schwester zu, was sie wissen wollte. Er sagte: «Ich habe immer, und fast von Natur, daran geglaubt, daß der Geist, weil man seine Macht in sich fühle, auch dazu verpflichte, ihm in der Welt Geltung zu verschaffen. Ich habe geglaubt, daß es sich nur lohne,

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