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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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er zögernd. «Wenn ich so mit dir spreche oder mit dem Leinsdorf, kommt es mir manchmal vor, ich rede wie ein Jüngling oder du philosophierst über die Unsterblichkeit der Maikäfer; aber das kommt doch von dem Thema? Wo es um erhabene Aufgaben geht, hat man ja nie das Gefühl, so reden zu dürfen, wie man wirklich ist!?»
    Agathe lachte.
    Stumm lachte mit. «Ich lache ja auch, Gnädigste!» versicherte er weltklug, doch dann kehrte in sein Gesicht wieder Wichtigkeit zurück, und er fuhr fort: «Aber streng genommen ist es gar nicht so falsch, was der erlauchtige Herr meint. Was verstehst du zum Beispiel unter Liberalismus?» – mit diesen Worten wandte er sich nun wieder an Ulrich, wartete aber keine Antwort ab, sondern fuhr neuerlich fort: «Ich meine halt so, daß man die Leute sich selbst überläßt. Und es wird dir natürlich auch aufgefallen sein, daß das jetzt aus der Mode kommt. Es ist ein Pallawatsch daraus entstanden, wie man so sagt. Aber ist es nur das? Mir kommt vor, die Leute wollen noch etwas. Sie sind nicht mit sich zufrieden. Ich ja auch; ich war früher ein liebenswürdiger Mensch. Man hat eigentlich nichts getan, aber man war mit sich zufrieden. Der Dienst war nicht schlimm, und außer Dienst hat man Ekarté gespielt oder ist auf die Jagd gefahren, und bei dem allen war eine gewisse Kultur. Eine gewisse Einheitlichkeit. Kommt es dir nicht auch so vor? Und warum ist das heute nicht mehr so? Ich glaube, soweit ich nach mir urteilen darf, man fühlt sich zu gescheit. Will man ein Schnitzel essen, so fällt einem ein, daß es Leute gibt, die keins haben. Steigt man einem schönen Mäderl nach, so fährt ihm plötzlich durch den Kopf, daß er eigentlich über die Beilegung irgend eines Konflikts nachzudenken hätte. Das ist eben der unleidliche Intellektualismus, den man heute niemals los wird, und darum geht es nirgends vorwärts. Und ohne es selbst zu wissen, wollen die Leute wieder etwas. Das heißt also, sie wollen nicht mehr einen komplizierten Intellekt, sie wollen nicht tausend Möglichkeiten zu leben; sie wollen mit dem zufrieden sein, was sie ohnehin tun, und dazu braucht es einfach wieder einen Glauben oder eine Überzeugung oder – also, wie soll man das bezeichnen, was sie dazu brauchen? zu dieser Frage möchte ich jetzt deine Meinung hören!»
    Aber das war nur Selbstgenuß des lebhaft angeregten Stumm, denn ehe Ulrich auch nur das Gesicht verziehen konnte, kam schon seine Überraschung: «Man kann es natürlich ebensogut Glauben wie Überzeugung nennen, aber ich habe viel darüber nachgedacht und nenne es lieber: Eingeistigkeit!»
    Stumm machte eine Pause, die der Einnahme des Beifalls dienen sollte, ehe er weiteren Einblick in seine Geisteswerkstatt gab, und dann mischte sich in den gewichtigen Ausdruck seines Gesichts noch ein ebensowohl überlegener als auch genußmüder. «Wir haben ja früher öfter über die Probleme der Ordnung gesprochen» erinnerte er seinen Freund «und brauchen uns infolgedessen heute nicht dabei aufzuhalten. Also Ordnung ist gewissermaßen ein paradoxer Begriff. Jeden anständigen Menschen verlangt es nach innerer und äußerer Ordnung, aber anderseits verträgt man auch nicht zu viel von ihr, ja eine vollkommene Ordnung wäre sozusagen der Ruin alles Fortschritts und Vergnügens. Das liegt sozusagen im Begriff der Ordnung. Und darum muß man sich sagen: was ist denn überhaupt Ordnung? Und wie kommt es denn, daß wir uns einbilden, ohne Ordnung nicht existieren zu können? Und was für eine Ordnung suchen wir denn? Eine logische, eine praktische, eine persönliche, eine allgemeine, eine Ordnung des Gefühls, eine des Geistes oder eine des Handelns? De fakto gibt es ja eine Menge Ordnungen durcheinander; die Steuern und Zölle sind eine, die Religion eine andere, das Dienstreglement eine dritte, und man wird gar nicht fertig mit dem Aufsuchen und Aufzählen. Damit habe ich mich sehr beschäftigt, wie du weißt, und ich glaube nicht, daß es auf der Welt viele Generale geben wird, die ihren Beruf so ernst nehmen, wie ich es in diesem letzten Jahr habe tun müssen. Ich habe auf meine Weise nach einer umfassenden Idee suchen helfen, aber du selbst hast schließlich verkündet, daß man zur Ordnung des Geistes ein ganzes Weltsekretariat brauchen möchte, und auf eine solche Ordnung, das wirst du selbst zugeben, kann man nicht warten! Aber anderseits darf man auch nicht deshalb jeden gewähren lassen!»
    Stumm lehnte sich zurück und schöpfte Luft. Das

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