Gesammelte Werke
Schwerste war jetzt gesagt, und er fühlte das Bedürfnis, sich bei Agathe für die finstere Sachlichkeit seines Benehmens zu entschuldigen, was er mit den Worten tat: «Gnädigste verzeihen schon, aber ich habe mit Ihrem Bruder eine alte und schwere Abrechnung gehabt; jetzt aber wird es auch für Damen geeigneter, denn jetzt bin ich wieder dort, wo ich gewesen bin, daß die Leute keinen komplizierten Intellekt brauchen können, sondern daß sie glauben und überzeugt sein möchten. Wenn man das nämlich analysiert, so kommt man darauf, daß es bei der Ordnung, die der Mensch anstrebt, das letzte ist, ob man sie mit der Vernunft billigen kann oder nicht; es gibt auch völlig unbegründete Ordnungen, zum Beispiel gleich, daß beim Militär, was immer behauptet wird, immer der Vorgesetzte recht hat, das heißt natürlich, so lange nicht ein noch höherer dabei ist. Wie habe ich mich, als ich ein junger Offizier war, darüber aufgehalten, daß das eine Schändung der Ideenwelt ist! Und was sehe ich heute? Heute nennt man es das Prinzip des Führers —»
«Wo hast du das her?» fragte Ulrich, den Vortrag unterbrechend, denn er hatte einen bestimmten Verdacht, daß diese Gedanken nicht nur aus einem Gespräch mit Leinsdorf geschöpft seien.
«Es verlangen doch alle nach starker Führung! Und außerdem aus dem Nietzsche natürlich und seinen Auslegern» entgegnete Stumm flink und wohlbeschlagen. «Da wird doch bereits eine doppelte Philosophie und Moral verlangt: für Führer und für Geführte! Aber wenn wir schon einmal beim Militär sind, muß ich überhaupt sagen, daß sich das Militär nicht nur an und für sich als ein Element der Ordnung bewährt, sondern daß es sich immer auch dann noch zur Verfügung stellt, wenn alle andere Ordnung versagt!»
«Die entscheidenden Dinge vollziehen sich eben über den Verstand hinweg, und die Größe des Lebens wurzelt im Irrationalen!» führte Ulrich aus und ahmte aus dem Gedächtnis seine Kusine Diotima nach.
Der General verstand es sofort, nahm es aber nicht übel. «Ja, so hat sie gesprochen, Ihre Frau Kusine, ehe sie noch die Kundgebung der Liebe sozusagen zu sehr im besonderen suchte.» Er wandte sich mit dieser Erklärung an Agathe.
Agathe schwieg und lächelte.
Stumm wandte sich wieder Ulrich zu: «Ich weiß nicht, ob es zu dir der Leinsdorf vielleicht auch schon gesagt hat, jedenfalls ist es hervorragend richtig; er behauptet nämlich, daß es an einem Glauben die Hauptsache ist, daß man immer dasselbe glaubt. Das ist ungefähr das, was ich eben Eingeistigkeit nenne. ‹Kann das aber das Zivil?› habe ich ihn gefragt. ‹Nein,› habe ich gesagt ‹das Zivil trägt jedes Jahr andere Anzüge, und alle paar Jahre finden Parlamentswahlen statt, damit es jedesmal anders wählen kann: der Geist der Eingeistigkeit ist viel eher beim Militär zu finden!›»
«Du hast also Leinsdorf überzeugt, daß ein gesteigerter Militarismus die wahre Erfüllung seiner Absichten wäre?»
«Aber Gott bewahre, ich habe kein Wort gesagt! Wir haben uns bloß geeinigt, daß wir auf den Feuermaul künftig verzichten, weil seine Ansichten zu unbrauchbar sind. Und im übrigen hat mir der Leinsdorf eine Reihe Aufträge an dich mitgegeben —»
«Das ist überflüssig!»
«Du sollst ihm rasch eine Verbindung zu sozialen Kreisen verschaffen –»
«Der Sohn meines Gärtners ist ein eifriges Parteimitglied, mit dem kann ich dienen –»
«Aber meinetwegen! Es muß ja ohnehin nur aus Gewissenhaftigkeit geschehn, weil er sich das einmal in den Kopf gesetzt hat. Das zweite ist, daß du ihn so bald wie möglich aufsuchen möchtest –»
«Ich reise nächster Tage ab!»
«Also eben gleich, wenn du wieder zurück bist —»
«Ich komme wahrscheinlich überhaupt nicht zurück!»
Stumm von Bordwehr sah Agathe an; Agathe lächelte, und er fühlte sich dadurch ermuntert. «Verrückt?» fragte er.
Agathe zuckte ungewiß die Schultern.
«Also ich fasse es noch einmal zusammen –» sagte Stumm.
«Unser Freund hat genug von der Philosophie!» unterbrach ihn Ulrich.
«Das kannst du doch von mir gewiß nicht behaupten!» verteidigte sich Stumm empört. «Wir können bloß nicht auf die Philosophie warten. ––– Ich stehe nicht an zu behaupten, daß eine wirklich gewaltige Lebensanschauung nicht erst auf den Verstand warten darf; im Gegenteil, eine wirkliche Lebensanschauung muß geradezu gegen den Verstand gerichtet sein, sonst kommt sie nicht in die Lage, daß sie ihn sich unterwerfen
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