Gesammelte Werke
armes Nest sei, das nicht einmal den Vergleich mit Bukarest aushalte. Aber auch das war ja nur kakanisch, dieses Zwielicht des Gefühls, worin sie ihr Dasein aufnahmen, diese Unruhe einer zu früh herabgesunkenen Ruhe, in der sie sich geborgen und begraben fühlten. Sagt man es so: diesen Menschen war alles zugleich Unlust und Lust, so bemerkt man wohl wie vorweg-heutig es war, denn der sanfteste aller Staaten stürmte in manchem seiner Zeit heimlich voraus. Die Menschen, die B... bewohnten, lebten von der Erzeugung von Tuchen und Garnen, von der Erzeugung und dem Handel aller Dinge, die von Menschen gebraucht werden, die Tuche und Garne erzeugen oder verkaufen, und schließlich der Erzeugung und Behandlung von Rechtsstreitigkeiten, Krankheiten, Kenntnissen, Vergnügungen und dergleichen, was zu den Bedürfnissen einer großen Stadt gehört. Und alle wohlhabenden unter ihnen hatten die Eigenschaft, daß es in der Welt keinen schönen und berühmten Ort gab, wo einer, der aus dieser Stadt stammte, nicht einen antraf, der auch aus dieser Stadt stammte, und wenn sie wieder zu Hause waren, hatte das zur Folge, daß sie alle ebensoviel von der Weite in sich trugen wie von der ungeheuerlichen Überzeugung, daß alle Größe schließlich doch nur nach B... führt.
Ein solcher Zustand, der von der Erzeugung von Tuchen und Garnen, von Fleiß, Sparsamkeit, einem städtischen Theater, den Konzerten durchreisender Berühmtheiten, von Bällen und Einladungen kommt, wird nicht mit den gleichen Mitteln überwunden. Vielleicht hätte das dem Kampf um die Staatsmacht einer aufsässigen Arbeiterschaft gelingen können oder dem Kampf gegen eine Oberschicht oder einem imperialistischen Kampf um den Weltmarkt, wie ihn andere Nationen führten, kurz nicht dem Verdienen nach Verdienst, sondern einem Rest tierischen Erbeutens, worin sich die Lebenswärme wach hält. In Kakanien aber wurde wohl viel Geld unrecht verdient, aber erbeutet durfte nichts werden, und selbst wenn in diesem Staat Verbrechen erlaubt gewesen wären, so hätte man streng darauf geachtet, daß sie nur von obrigkeitlich zugelassenen Verbrechern begangen werden. Das gab allen solchen Städten wie B... das Aussehen eines großen Saals mit einer niedrigen Decke. Ein Kranz von Pulvertürmen umgab jede größere Stadt, in denen die Armee ihre Schießvorräte aufbewahrte, groß genug, bei einem Blitzschlag ein ganzes Stadtviertel in Trümmer zu legen: aber bei jedem Pulverturm war durch eine Schildwache und einen schwarzgelben Schlagbaum dafür vorgesorgt, daß den Bürgern kein Unheil geschehe. Und die Polizei war mit Säbeln ausgerüstet, die so lang waren wie die der Offiziere und bis an die Erde reichten, niemand wußte mehr warum, es sei denn aus Mäßigung, denn mit einer Hand mußte die Polizei immer ihren Säbel festhalten, damit er ihr nicht zwischen die Beine komme, und konnte nur mit der anderen nach Missetätern fahnden. Niemand wußte auch, warum in wachsenden Städten, auf Baugründen, die Zukunft hatten, vom Staat weit vorausblickend Militärspitäler, Monturdepots und Garnisonsbäckereien errichtet wurden, deren ummauerte Riesenrechtecke später die Entwicklung störten. Keinesfalls durfte das für Militarismus gehalten werden, dessen man das alte Kakanien leichtfertig beschuldigt hat; es war nur Lebensweisheit und Vorsicht, sei es sozusagen schon ihrem Wesen nach in Ordnung: denn Ordnung kann gar nicht anders als in Ordnung sein, während das von jedem anderen staatlichen Verhalten ewig unsicher bleibt. Diese Ordnung war dem Franzisko Josephinischen Zeitalter in Kakanien zur Natur, ja fast schon zur Landschaft geworden, und ganz bestimmt hätten dort bei längerer Andauer der stillen Friedenszeit auch noch die Geistlichen lange Säbel bekommen, da nach den Richtern, Fischinspektoren, Finanzräten und Postbeamten schon die Universitätsinspektoren welche hatten, und wäre nicht eine Weltveränderung zu ganz anderen Auffassungen dazwischengekommen, so hätte sich der Säbel vielleicht in Kakanien zu einer geistigen Waffe entwickelt. – (Geglaubt hat man, das geschieht aus Eifersucht auf Deutschland. Und die fremden Staaten haben geglaubt, aus Militarisierung.)
Als die Unterhaltung, teils im Meinungsaustausch, teils in Erinnerungen, die sie stumm begleiteten, so weit gekommen war, schaltete General Stumm ein: «Das hat übrigens der Leinsdorf schon gesagt, daß nämlich die Priester eigentlich Säbel bekommen müßten, beim nächsten Konkordat und zum Zeichen,
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