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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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Gott geboren.›
    Diese beiden Stellen stehen offensichtlich miteinander in Widerspruch: das eine Mal kommt die Liebe von Gott, das andre Mal ist sie Gott selbst!
    Die Versuche, das Verhältnis der ‹Liebe› zur Welt auszudrücken, scheinen also selbst den Erleuchteten nicht wenig Schwierigkeiten zu machen; wie sollte da nicht erst der unbelehrte Verstand versagen! Daß ich sie das Wesen der Welt genannt habe, ist nichts als Ausrede gewesen: es läßt all die Wahl offen, daß ich sage, diese Feder und dieser Tintennapf, mit denen ich schreibe, beständen in Wahrheit aus Liebe oder sie täten es in Wirklichkeit. Denn wie in Wirklichkeit? Bestünden sie dann aus Liebe, oder wären sie deren Folge, ausgestaltende Erscheinung oder Andeutung? Sind sie selbst, schon sie selbst, Liebe, oder ist das erst ihre Gesamtheit? Sollen sie von Natur Liebe sein, oder ist von der Wirklichkeit einer Übernatur die Rede? Und wie verhält es sich mit dem: in Wahrheit? Ist das eine Wahrheit für den geschärfteren Verstand oder eine für den begnadeten Unverstand? Ist es die Wahrheit des Denkens oder eine unvollständige symbolische Beziehung, die erst in der um Gott versammelten Universalität der Geistesgeschehnisse ihre Bedeutung voll enthüllen wird? Was davon habe ich gesagt? Ungefähr nichts und alles!
    Ebensogut hätte ich von der Liebe auch sagen können, daß sie die göttliche Vernunft, der neuplatonische Logos sei. Ebensogut anderes: Liebe ist der Schoß der Welt; der sanfte Schoß des sich selbst nicht begreifenden Geschehens. Und abermals verschieden: O Meer der Liebe, von dem nur der Ertrinkende, nicht der Darüberfahrende weiß! Alle diese hinweisenden Rufe fristen ihre Bedeutung bloß davon, daß einer so wenig Wort hält wie der andere.
    Am ehrlichsten ist das Gefühl: wie winzig ist die Erde im Himmelsraum, und wie ist der Mensch, nichtiger als das kleinste Kind, auf Liebe angewiesen! Aber das ist nichts als der nackte Schrei nach ihr, und keine Spur von Antwort!
    Doch darf ich vielleicht in dieser Weise sprechen, ohne meine Worte ins Leere überzutreiben: Es gibt einen Zustand in der Welt, dessen Anblick uns verstellt ist, den aber die Dinge manches Mal da oder dort freigeben, wenn wir uns selbst in einem auf besondere Art erregten Zustand befinden. Und nur in ihm erblicken wir, daß die Dinge ‹aus Liebe› sind. Und nur in ihm erfassen wir auch, was es bedeutet. Und nur er ist dann wirklich, und wir wären dann wahr.
    Das wäre eine Beschreibung, von der ich nichts zurücknehmen müßte. Aber ich habe freilich auch nichts, es zu ihr zuzufügen!»
    Agathe staunte. Ulrich hielt sich in diesen heimlichen Aufzeichnungen viel weniger als sonst zurück. Und obwohl sie verstand, daß er sich das auch vor sich selbst nur mit dem Vorbehalt des Heimlichen gestatte, meinte sie ihn doch dabei so vor sich zu sehen, daß er unschlüssig und gerührt die Arme gegen etwas öffne.
    Die Aufzeichnungen fuhren nun fort: «Auch das ist ein Einfall, auf den beinahe die Vernunft selbst verfallen könnte, allerdings nur eine etwas aus ihrer ruhenden Lage geratene Vernunft: sich den Alliebenden als den Ewigen Künstler vorzustellen. Er liebt die Schöpfung, solange er sie schafft, von den fertigen Teilen wendet sich seine Liebe aber ab. Denn der Künstler muß auch das Hassenswerteste lieben, um es bilden zu können, aber was er bereits geschaffen hat, mag es auch gut sein, erkaltet ihm; es wird so liebeverlassen, daß er sich darin selbst kaum noch versteht, und die Augenblicke sind selten und unberechenbar, wo seine Liebe wiederkehrt und sich an dem weidet, was sie getan hat. Und so wäre denn auch zu denken: Was über uns waltet, liebt, was es schafft; aber dem fertigen Teil der Schöpfung entzieht und nähert sich seine Liebe in langem Abfließen und kurzem Wiederanschwellen. Diese Vorstellung paßt sich der Tatsache an, daß Seelen und Dinge der Welt wie Tote sind, die manchmal für Sekunden auferweckt werden.»
    Dann kamen flüchtig einige andere Eintragungen, die wirr aussahen, als wären sie zum Versuch gemacht.
    «Ein Löwe vor dem Morgenhimmel! Ein Nashorn im Mondlicht! Du hast die Wahl zwischen Liebesfeuer und Gewehrfeuer. Also sind zumindest zwei Grundzustände anzunehmen: Liebe und Gewalt. Und es ist ohne Zweifel die Gewalt, was die Welt im Gange hält und vor dem Einschlafen bewahrt, nicht die Liebe!
    Hier ließe sich freilich auch die Annahme einflechten, daß die Welt sündig geworden sei. Vorher Liebe und Paradies. Das

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