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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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kann. Und eine solche Eingeistigkeit sucht das Zivil im beständigen Wechsel, das Militär hat aber sozusagen eine dauernde Eingeistigkeit! Gnädigste —» unterbrach Stumm seinen Eifer «dürfen nicht glauben, daß ich ein Militarist bin; mir ist das Militär, ganz im Gegenteil, immer sogar ein bißl zu roh gewesen: Aber die Logik dieser Gedanken packt einen so, wie wenn man mit einem großen Hund spielt: erst beißt er im Spaß, und dann kommt er hinein und wird wild. Und ich möchte Ihrem Bruder sozusagen eine letzte Gelegenheit einräumen –»
    «Und wie bringst du die Kundgebung der Kraft und Liebe damit in Zusammenhang?» fragte Ulrich.
    «Gott, das habe ich inzwischen vergessen» erwiderte Stumm. «Aber natürlich sind diese nationalen Ausbrüche, die wir jetzt in unserem Vaterland erleben, irgendwie Kraftausbrüche einer unglücklichen Liebe. Und auch auf diesem Gebiet, in der Synthese von Kraft und Liebe, ist das Militär gewissermaßen vorbildlich. Irgendeine Vaterlandsliebe muß der Mensch haben, und wenn er sie nicht zum Vaterland hat, so hat er sie eben zu etwas anderem. Das braucht man also bloß einzufangen. Als Beispiel dafür fällt mir in diesem Augenblick das Wort Einjährig-Freiwilliger ein: Wer denkt daran, daß ein Einjähriger ein Freiwilliger ist: Er am allerwenigsten. Und doch war er’s und ist er’s nach dem Sinn des Gesetzes. In so einem Sinn muß man die Menschen eben alle wieder zu Freiwilligen machen!»
    [◁]
69
    Agathe findet Ulrichs Tagebuch
    Dieweil Ulrich dem Fortgehenden selbst das Geleite gab, führte Agathe, dem inneren Tadel zum Trotz, etwas aus, das sie sich blitzartig vorgenommen hatte. In einer Lade des Arbeitstisches waren ihr schon vor der Unterbrechung durch Stumm lose liegende Papiere aufgefallen, und dann ein zweites Mal in seiner Gegenwart; und zwar beidemal durch eine unterdrückte Bewegung ihres Bruders, die den Eindruck hervorgerufen hatte, er wolle sich im Gespräch auf diese Papiere berufen, könne sich aber nicht dazu entschließen, ja verwehre es sich mit Vorsatz. Ihre Vertrautheit mit ihm hatte sie das mehr erahnen als begründet erraten lassen; und auf die gleiche Weise verstand sie auch, daß sich das Verhohlene auf sie und ihn beziehen müsse. Darum öffnete sie die Lade, nachdem er kaum das Zimmer verlassen hatte, und tat dies, mochte es berechtigt sein oder nicht, in einem Gefühl, das rasche Entscheidungen fordert und moralische Bedenken nicht zuläßt. Aber die vielfach durchstrichenen, lose zusammenhängenden und nicht immer leicht zu entziffernden Aufzeichnungen, die ihr in die Hand fielen, zwangen ihrer leidenschaftlichen Neugierde alsbald ein langsames Zeitmaß auf.
    «Ist Liebe ein Gefühl? Diese Frage mag im ersten Augenblick unsinnig wirken, so gewiß scheint es zu sein, daß die ganze Natur der Liebe ein Fühlen sei; umso mehr überrascht die richtige Antwort: denn das Gefühl ist wahrhaftig das wenigste an der Liebe! Bloß als solches betrachtet, ist sie – kaum so heftig und mächtig und jedenfalls weniger deutlich ausgeprägt als ein Zahnschmerz.»
    Der zweite, ebenso wunderliche Vermerk lautete: «Ein Mann vermag seinen Hund und seine Frau zu lieben. Ein Kind kann einen Hund zärtlicher lieben als ein Mann seine Frau. Jemand liebt seinen Beruf, ein anderer die Politik. Am meisten lieben wir wohl allgemeine Zustände; ich meine – wenn wir sie nicht gerade hassen – jenes undurchschaubare Zusammenwirken von ihnen, das ich ‹das Stallgefühl› nennen mag: wir sind erfreut in unserem Leben zu Hause wie ein Pferd in seinem Stall!
    Aber was bedeutet es, alles dieses, das so verschieden ist, mit dem gleichen Wort ‹lieben› zu verbinden?! Da hat sich in meinem Kopf, neben Zweifel und Spott, ein uralter Gedanke niedergelassen: Alles in der Welt ist Liebe! Liebe ist das sanfte, göttliche, von Asche verdeckte, aber unauslöschliche Wesen der Welt! Ich wüßte nicht zu sagen, was ich unter ‹Wesen› verstehe; aber wenn ich mich ohne Sorge dem ganzen Gedanken überlasse, empfinde ich ihn mit einer merkwürdig natürlichen Gewißheit. Wenigstens für Augenblicke.»
    Agathe errötete, denn die nächsten Eintragungen begannen mit ihrem Namen. «Agathe hat mir einmal Bibelstellen gezeigt; ich erinnere mich noch ungefähr an den Wortlaut und habe mir vorgenommen, ihn aufzuschreiben: ‹Alles, was in der Liebe geschieht, geschieht in Gott. Denn Gott ist Liebe.› Und eine zweite sagte: ‹Die Liebe ist von Gott, und wer Gott liebt, der ist von

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