Gesammelte Werke
daß auch sie ein Amt im Staat bekleiden. Er hat es dann mit der weniger paradoxen Bemerkung eingeschränkt, daß auch kleine Degen genügen möchten, mit Perlmutter- und Goldgriff, weißt du, wie sie früher die Beamten getragen haben.»
«Ist das dein Ernst?»
«Seiner» gab der General zur Antwort. «Er hat mir gezeigt, daß im Dreißigjährigen Krieg in Böhmen die Priester in vergoldeten Meßgewändern geritten sind, die unterhalb aus Leder waren, also richtige Meß-Kürasse. Er ist halt sehr geärgert über die allgemeine Staatsfeindlichkeit und hat sich erinnert, daß in einer seiner Schloßkapellen noch so ein Gewand aufbewahrt ist. Schau, du weißt doch, daß er immer davon redet, wie die Verfassung vom Jahre 61 dem Besitz und der Bildung bei uns die Führung gegeben hat und daß daraus eine große Enttäuschung geworden ist –»
«Wie bist du eigentlich zu ihm gekommen?» unterbrach ihn Ulrich lächelnd.
«Gott, das hat sich so gefügt, wie er von seinen böhmischen Gütern zurückgekehrt ist» meinte Stumm, ohne darauf näher einzugehen. «Überdies hat er dich dreimal zu sich bitten lassen, ohne daß du hingegangen bist. ––– Sie sind doch sein Freund, warum kommt er nicht, wenn ich ihn rufe?» Und mir ist nichts anderes übriggeblieben als ihm anzubieten: ‹Wenn Sie mir etwas anzuvertrauen wünschen, werde ich es ihm ausrichten!›»
Stumm machte eine Pause.
«Und was –?» fragte Ulrich.
«Nun du weißt, daß es nie ganz einfach zu verstehen ist, was er meint. Zuerst hat er mir von der Französischen Revolution erzählt. Die Französische Revolution hat bekanntlich vielen Adligen die Köpfe abgeschlagen, und das findet er merkwürdigerweise richtig, obgleich er in B... beinahe mit Steinen beworfen worden wäre. Denn er sagt, das Ancien Regime hat seine Fehler gehabt und die Französische Revolution ihre wahren Gedanken. Aber was ist schließlich aus aller Anstrengung entstanden? das fragt er sich. Und da sagte er Folgendes: Heute ist zum Beispiel die Post besser und schneller, aber früher, solange die Post noch langsam war, hat man bessere Briefe geschrieben. Oder: Heute ist die Kleidung praktischer und weniger lächerlich, aber früher, wo sie noch eine Maskerade war, hat man entschieden besseres Material darauf verwendet. Und er gibt zu, daß er für größere Fahrten selbst ein Automobil benutzt, weil es schneller und bequemer ist als ein Pferdefuhrwerk, aber er behauptet, daß diese Federbüchse auf vier Rädern dem Fahren die wahre Vornehmheit genommen hat. Und alles das ist komisch, mein ich, aber es ist wahr. Hast du nicht selbst einmal gesagt, beim menschlichen Fortschritt rutscht immer ein Bein zurück, wenn das andere vorrutscht? Unwillkürlich hat heute jeder von uns etwas gegen den Fortschritt. Und der Leinsdorf hat zu mir gesagt: ‹Herr General, früher haben unsere jungen Leute von Pferden und Hunden gesprochen, und heute sprechen die Fabrikantensöhne von Pferdestärken und Chassis. So hat der Liberalismus seit der Verfassung von 61 den Adel auf die Seite geschoben, aber alles ist voll neuer Korruption, und wenn wider Erwarten doch einmal die Soziale Revolution kommen wird, so wird sie den Fabrikantensöhnen den Kopf abschlagen, aber besser wird es auch nicht werden!› Man hat den Eindruck, es kocht etwas in ihm über! Bei einem andern möcht man ja vielleicht meinen, er weiß nicht, was er will!»
«Aber vorderhand sind wir doch erst bei der Nationalen Revolution? Weißt du, was er will?» fragte Ulrich.
«Die Drangsal hat nach der Geschichte in B... versucht, ihm sagen zu lassen: jetzt müßte man sich erst recht zum Menschen bedingungslos hinreißen lassen, und der Feuermaul soll geäußert haben, besser sei es, als Österreicher des Widerstandes der Nationalitäten nicht Herr zu werden, denn als Reichsdeutscher sein Land in einen Truppenübungsplatz zu verwandeln. Darauf erwidert er nur, daß das keine Realpolitik sei. Er verlangt eine Kraftkundgebung; das heißt, natürlich soll es auch eine Liebeskundgebung sein, das war ja die ursprüngliche Idee der Parallelaktion. ‹Herr General,› das waren seine Worte ‹wir müssen unsere Einigkeit kundgeben; das ist weniger widerspruchsvoll, als es den Anschein hat, aber auch weniger einfach!»›
Bei dieser Mitteilung vergaß sich Ulrich und gab eine ernstere Antwort. «Sag einmal,» fragte er «kommt dir denn nie das Gerede um die Parallelaktion etwas kindlich vor?»
Stumm sah ihn erstaunt an. «Das schon» erwiderte
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