Gesammelte Werke
Krieg ein nationales Unglück ist» gab Ulrich zu bedenken.
«Siehst du, da hat ihn der Geist gezwickt!» versetzte Stumm überzeugt. «Ich habe nämlich nie eine Zeile von ihm gelesen, er ist mir immer viel zu militärisch vorgekommen. Und du kannst mir wirklich glauben, daß ich immer ein Antimilitarist gewesen bin. Ich habe mein Leben lang gedacht: Kein Mensch glaubt heutzutage mehr an einen Krieg, man macht sich damit nur lächerlich. Und – ich möchte nicht, daß du glaubst, ich habe mich geändert, weil ich jetzt anders bin!» Er hatte den Wagen herbeigewinkt und den Fuß schon aufs Trittbrett gesetzt, zögerte aber und sah Ulrich nötigend an. «Ich bin mir selbst treu geblieben!» fuhr er fort. «Aber wenn ich den zivilen Geist früher mit den Gefühlen eines jungen Mädchens geliebt habe, liebe ich ihn jetzt, wenn ich so sagen darf, mehr wie eine reife Frau: Er ist kein Ideal, er läßt sich nicht einmal dahin bringen, daß er mit sich selbst eines Sinnes wird. Darum habe ich dir – nicht erst heute, sondern schon lange – gesagt, daß man mit den Menschen sowohl in Güte wie auch mit starker Hand verfahren muß, man muß sie also lieben und kujonieren, damit es zu etwas Rechtem kommt. Und das ist schließlich nichts als die überparteiliche militärische Gesinnung, die den Soldaten auszeichnen soll. Ich beanspruche kein persönliches Verdienst daran, aber ich will dir zeigen, daß sie schon früher aus mir gesprochen hat!»
«Jetzt wirst du noch wiederholen, daß der Bürgerkrieg vom Jahre Sechsundsechzig daraus entstanden ist, daß sich alle Deutschen als Brüder erklärt haben» meinte Ulrich lächelnd.
«Ja, natürlich!» bestätigte Stumm. «Und jetzt erklären sich noch dazu alle Menschen als Brüder! Da muß ich mich doch fragen, was daraus entstehen wird! Es kommt ja so unerwartet, was wirklich kommt. Da haben wir fast ein Jahr lang nachgedacht, und dann ist es auch ganz anders gekommen. Und so ist es anscheinend mein Verhängnis, daß mich der Geist, indem ich ihn aufmerksam durchforschte, wieder zum Militär zurückführt. Trotzdem, wenn du alles überlegst, was ich gesagt habe, so wirst du finden: Ich identifiziere mich also mit nichts; aber ich finde an allem etwas Wahres: das wäre ungefähr der Extrakt von dem, was wir gesprochen haben!»
Stumm wollte nach einem Blick auf die Uhr das Zeichen zur Abfahrt geben, denn sein Vergnügen, sich ausgesprochen zu haben, war so lebhaft, daß er alles übrige vergessen hatte. Aber Ulrich legte jetzt freundschaftlich Hand an ihn und sagte: «Du hast mir noch nicht mitgeteilt, was dein neues ‹Auftragerl› ist.»
Stumm weigerte sich: «Heute reicht die Zeit nicht mehr. Ich muß fort.»
Aber Ulrich hatte ihn an einem der goldenen Knöpfe gefaßt, die auf seinem Bauch glänzten, und hielt so lange fest, bis sich Stumm ergab. Er angelte nach Ulrichs Kopf und zog das Ohr an seinen Mund. «Also unter strengster Diskretion,» flüsterte er: «Leinsdorf!»
«Ich nehme an, daß er beseitigt werden soll, du politischer Meuchelmörder!» flüsterte Ulrich wieder, aber so unbefangen, daß Stumm verletzt auf den Kutscher deutete. Sie richteten sich auf, und Ulrich trat vom Wagenschlag zurück. Sie zogen es jetzt vor, laut zu sprechen und bloß den Namen zu vermeiden. «Laß mich selbst nachdenken und versuchen,» bat Ulrich «ob ich noch irgend etwas von eurer Welt weiß: ‹Er› hat den letzten Kultusminister gestürzt, und seit der neuen ihm widerfahrenen Beleidigung muß man darauf gefaßt sein, daß ‹Er› es dem jetzigen auch so macht. Das wäre aber augenblicklich eine unangenehme Störung, und dem muß man vorbaun. Und aus irgendeinem Grund hält ‹Er› halt immer an seinen Überzeugungen fest: daß die Deutschen die Gefahr für den Staat sind, daß gerade der Baron Wisnietzky, den sie nicht leiden können, der geeignete Mann ist, bei ihnen Propaganda zu machen, daß die Regierung nicht hätte ihren Kurs wechseln sollen, und so weiter –»
Stumm hätte Ulrich unterbrechen können, aber er hörte freiwillig zu, und jetzt mischte er sich sogar selbst ein. «Schließlich ist unter ihm in der Aktion doch auch die ‹Parole der Tat› entstanden, und während alle andern bloß sagen: das ist ein neuer Geist!, sagt ‹Er› jedem, der es ungern hört: es muß etwas geschehn!»
«Und stürzen kann man ihn nicht, er ist eine Privatperson. Und die Parallelaktion hat man ihm ohnehin schon unter dem Sattel weggeschossen» meinte Ulrich.
«Also ist
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