Gesammelte Werke
anbahnt oder selbst schon darstellt. Ebenso wirkt aber auch der ‹Reiz› gewöhnlich nicht unmittelbar, sondern erst kraft seiner Aufnahme, und das Innere wieder vollzieht diese Aufnahme erst auf Grund von Wahrnehmungen, mit denen Anfänge der Erregung doch wohl schon verbunden sein müssen.
Davon abgesehen, hängt der Reiz, der ein Gefühl zu erregen vermag, mit diesem aber auch schon insofern zusammen, als das, was beispielsweise einen Hungernden erregt, einem Beleidigten gleichgültig ist, und umgekehrt.»
«Ähnliche Verwicklungen ergeben sich, wenn das Weitere ‹der Reihe nach› beschrieben werden soll. So ist schon die Frage, wann ein Gefühl ‹da› sei, nicht zu beantworten, obwohl nach der zugrundeliegenden Auffassung, wonach es bewirkt werden und dann selbst wirken solle, doch angenommen werden müßte, daß es einen solchen Zeitpunkt gebe. In Wahrheit schlägt aber der erregende Reiz nicht in einen bestehenden Zustand ein wie die Kugel in die mechanische Scheibe, die nun ein Spielwerk von Folgen in Gang setzt, sondern dauert weiter und ruft einen Nachschub an inneren Kräften hervor, die sowohl in seinem Sinn wirken als auch seine Wirkung abändern. Und ebenso wenig gibt sich das Gefühl, einmal vorhanden, sofort an seine Wirkungen aus, noch bleibt es sich auch nur einen Augenblick selbst gleich und ruht gleichsam in der Mitte zwischen den Vorgängen, die es aufnimmt und entsendet, sondern ist mit einer dauernden Veränderung von allem verbunden, wozu es außen und innen Beziehung hat, und empfängt auch von beiden Seiten eine Rückwirkung.
Es ist den Gefühlen die lebhafte, oft leidenschaftliche Bestrebung zu eigen, die Reize abzuändern, denen sie ihre Entstehung verdanken, und sie zu beseitigen oder zu begünstigen; und die Hauptlebensrichtungen sind die nach außen und von außen. Darum trägt der Zorn schon den Gegenangriff in sich, das Verlangen die Annäherung, und die Furcht den Übergang in Flucht, in Erstarren oder zwischen beiden in den Schrei. Aber auch durch die Rückwirkung dieses tätigen Verhaltens empfängt ein Gefühl nicht wenig von seiner Eigentümlichkeit und von seinem Inhalt; und der bekannte Ausspruch eines amerikanischen Psychologen: ‹Wir weinen nicht, weil wir traurig sind, sondern sind traurig, weil wir weinen› mag übertrieben sein, doch ist es sicher, daß man nicht bloß so handelt, wie man fühlt, sondern bald auch so fühlen lernt, wie man, aus welchen Gründen immer, handelt. Ein bekanntes Beispiel dieses Hin- und Rückweges ist das Spiel von Hunden, die im Scherz zu balgen beginnen und in einem blutigen Zweikampf enden; aber auch an Kindern und einfachen Menschen läßt sich ähnliches beobachten. Und ist schließlich nicht die ganze schöne Theatralik des Lebens ein großes solches Beispiel, mit ihren halb gewichtigen, halb gewichtslosen Gebärden der Ehre und Ehrung, der Drohung, Artigkeit, Gemessenheit und alles anderen, Gebärden des Etwas-darstellen-Wollens und der Darstellung, die das Urteil beiseitesetzen und unmittelbar das Gefühl beeinflussen. Sogar der ‹Drill› gehört dazu und beruht auf der Wirkung, daß ein lang aufgezwungenes Verhalten am Ende die Gefühle erzeugt, von denen es ausgehen sollte.»
«Wichtiger als die Rückwirkung des Tuns ist es freilich in diesen und anderen Beispielen, daß ein Erlebnis die Bedeutung wechselt, wenn sein Verlauf aus dem Bereich der ihm zu Anfang eigentümlichen lenkenden Kräfte in den Bereich anderer seelischer Anschlüsse gerät. Denn Ähnliches wie auf der Außenseite vollzieht sich auf der inneren. Das Gefühl drängt nach innen; es ‹erfaßt den ganzen Menschen›, wie die Umgangssprache nicht unzutreffend sagt, es verdrängt, was sich nicht zu ihm schickt, und begünstigt, wovon es sich nähren kann. In einem Lehrbuch der Psychiatrie habe ich dafür die sonderbaren Namen ‹Schaltkraft› und ‹Schaltarbeit› gelesen. Dabei wird durch das Gefühl aber auch das Innere angeregt, daß es sich ihm zuwende. Die innere Bereitschaft, die nicht schon mit dem ersten Augenblick verausgabt ist, drängt ihm nach und nach zu; und vollends wird das Gefühl, sobald es größere in Gedanken, Erinnerungen, Grundsätzen oder anderem aufgespeicherte Kräfte ergreift, auch von ihnen ergriffen, und sie verändern es so, daß sich nun wieder schwer entscheiden läßt, ob man von einem Ergreifen oder einem Ergriffenwerden reden sollte.
Hat ein Gefühl durch solche Vorgänge aber seinen Höhepunkt erreicht, so muß es
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