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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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durch die gleichen wohl auch wieder geschwächt und verdünnt werden. Denn Gefühle und Erlebnisse werden dann seinen Bereich durchkreuzen, die sich ihm nicht mehr völlig unterwerfen und es am Ende sogar verdrängen. Ja eigentlich beginnt dieses gegenläufige Geschehen der Befriedigung und Abnützung schon mit der Entstehung des Gefühls; denn daß es um sich greift bedeutet nicht nur eine Vergrößerung seiner Macht, sondern zugleich auch eine Entspannung der Bedürfnisse, denen es entspringt oder deren es sich bedient.
    Auch im Verhältnis zur Handlung ist das zu beachten; denn das Gefühl steigert sich nicht nur im Tun, sondern entspannt sich auch darin; und seine Sättigung geht, wenn es nicht durch ein anderes Gefühl gestört wird, bis zum Überdruß fort, das heißt so lange, bis eben doch ein neues Gefühl da ist.»
    «Etwas ist besonders zu erwähnen. Solange sich ein Gefühl das Innere unterwirft, kommt es auch in Berührung mit Tätigkeiten, die am Erleben und Verstehen der äußeren Welt mitwirken; und so wird es auch die Welt, wie wir sie verstehen, teilweise nach seinem eigenen Muster und Sinn zu schablonisieren vermögen, um durch den rückwirkenden Anblick in sich selbst bestärkt zu werden. Die Beispiele dafür sind bekannt: Ein heftiges Fühlen macht blind gegen das, was Unbefangene wahrnehmen, und macht gewahren, was andere nicht sehn. Der Traurige sieht Schwarz und straft mit Nichtachtung, was es aufhellen könnte; dem Heiteren leuchtet die Welt, und er ist nicht imstande, etwas wahrzunehmen, wovon das gestört werden könnte; dem Liebenden begegnen die bösesten Wesen mit Vertrauen; und der Argwöhnische findet nicht nur sein Mißtrauen allerorten bestätigt, sondern die Bestätigungen suchen ihn geradezu heim. Auf diese Art schafft sich jedes Gefühl, wenn es eine gewisse Stärke und Dauer erlangt, eine ausgewählte und anzügliche, seine eigene Welt, was keine kleine Rolle in den menschlichen Verhältnissen spielt! Dahin gehört auch unser berüchtigter Wankelmut und unser wechselndes Gutdünken.»
    Hier hatte Ulrich einen Strich gezogen und war auf kurze Zeit zu der Frage zurückgekehrt, ob ein Gefühl ein Zustand oder ein Vorgang sei, deren Eigentümlichkeit als Scheinfrage jetzt deutlich hervortrat. Zusammenfassend und weiterführend knüpfte sich an die gegebene Beschreibung Folgendes an:
    «Von der gewohnten Vorstellung ausgehend, das Gefühl sei ein Zustand, der von einer Ursache kommt und Folgen bewirkt, bin ich in der Ausführung zu einer Beschreibung geführt worden, die zweifellos einen Vorgang darstellt, wenn das Ergebnis über längere Strecken betrachtet wird. Gehe ich aber dann von dem Gesamteindruck eines Vorgangs aus und will diese Vorstellung festhalten, so sehe ich ebenso deutlich, daß zwischen benachbarten Stücken allenthalten das Nacheinander fehlt, das Eins-hinter-dem-anderen, das doch zu einem Vorgang gehört, ja sogar jede Andeutung eines Ablaufs in bestimmter Richtung. Im Gegenteil, es deutet sich zwischen den einzelnen Schritten eine wechselseitige Abhängigkeit und Voraussetzung an, ja sogar das Bild von Wirkungen, die ihren Ursachen voranzugehen scheinen. Auch Zeitverhältnisse kommen nirgends in der Beschreibung vor, und alles das weist aus verschiedenen Gründen nun wieder auf einen Zustand hin.
    Ich kann also streng genommen vom Gefühl bloß sagen, daß es sowohl ein Zustand als auch ein Vorgang zu sein scheint, ebenso wie es weder ein Zustand noch ein Vorgang zu sein scheint; und eines von beiden will so berechtigt erscheinen wie das andere.
    Selbst das hängt aber, wie sich leicht zeigen läßt, mindestens ebenso sehr von der Art der Beschreibung ab als von dem, was beschrieben wird. Denn es ist keine besondere Eigentümlichkeit des Seelischen, geschweige denn eine des Gefühls, sondern kommt auch auf anderen Gebieten der Naturbeschreibung vor,beispielsweise allenthalben, wo von einem System und seinen Gliedern oder von einem Ganzen und seinen Teilen die Rede ist, daß in Ansehung des einen als Zustand erscheinen kann, was in Ansehung des anderen als Vorgang gilt. Ja schon die Andauer eines Vorgangs ist für uns mit dem Begriff eines Zustands verbunden. Ich könnte wohl nicht sagen, daß die Logik dieser doppelten Vorstellungsbildung klar sei, aber wahrscheinlich hängt sie damit zusammen, daß die Unterscheidung zwischen Zuständen und Vorgängen mehr der sprachlichen Denkweise angehört als dem wissenschaftlichen Tatsachenbild, das sie vielleicht neu

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