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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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ähnlichem. Aber abgesehen davon, hätte auch das nichts genutzt, denn Seine Erlaucht ist ein eigensinniger und schwer zu beeinflussender alter Herr –›. So ungefähr habe ich also gesprochen, und der Kriegsminister hat mich auch die ganze Zeit still angehört und hat genickt. Aber entweder hat er selbst vergessen gehabt, was er mir das Mal zuvor vorgehalten hat, oder er ist scheinbar sehr grantig gewesen, denn plötzlich hat er erwidert: ‹Du bist eben doch ein Philosoph, Stumm! Mich interessiert weder Seine Erlaucht noch das Volk; aber du sagst bald Vernunft, bald Logik, so als ob das ein und dasselbe wäre, und ich muß dich aufmerksam machen, daß es nicht ein und dasselbe ist! Vernunft kann ein Zivilist haben, und braucht sie auch nicht zu haben. Aber das, womit man der Vernunft begegnen muß und was ich darum von meinen Generalen verlangen muß, ist Logik. Das gewöhnliche Volk hat keine Logik, aber es muß sie über sich spüren!› Und damit ist die Unterredung beendet gewesen» schloß Stumm von Bordwehr.
    «Ich verstehe das zwar nicht im mindesten, aber es kommt mir vor, daß dein Zweithöchster Kriegsherr im ganzen nicht ungnädig mit dir umgeht» bemerkte Ulrich.
    Sie wandelten die Gartenwege auf und ab, und Stumm machte jetzt einige Schritte, ohne zu erwidern, blieb dann aber so heftig stehn, daß der Kies unter seinen Sohlen knirschte. «Das verstehst du nicht»!» rief er aus und fügte hinzu: «Zuerst habe ich es auch nicht verstanden. Aber nach und nach ist mir die ganze Tragweite aufgegangen, warum Seine Exzellenz, der Herr Kriegsminister, recht hat! Und warum hat er recht?» fragte er unversöhnlich. «Weil der Kriegsminister immer recht hat! Ich kann, wenn es bei Diotima einen Skandal gibt, nicht vor ihm weggehen, und ich kann auch nicht in die Zukunft von Böhmen blicken; es ist unvernünftig, das von mir zu verlangen! Und ich darf auch nicht, wie in dem Falle Leinsdorf, für etwas in Ungnade fallen, womit ich so wenig zu tun habe wie mit der Geburt meiner seligen Großmutter! Aber trotzdem hat der Kriegsminister, der mir das alles zumutet, recht, weil der Vorgesetzte immer recht hat: das ist nämlich eine Banalität, und auch keine! Verstehst du es jetzt?»
    «Nein» sagte Ulrich.
    «Aber schau,» beschwor ihn Stumm «du willst mir bloß Schwierigkeiten machen, weil du dich unabhängig fühlst oder weil du ein Rechtsgefühl hast oder aus solchen Gründen, und gibst nicht zu, daß es sich hier um etwas Ernsteres handelt! Aber wirklich erinnerst du dich ganz gut; denn beim Militär hat man doch auch dir seinerzeit bei jeder Gelegenheit gesagt: ein Offizier muß logisch denken können! Logik ist ja gerade das, was in unseren Augen das Militär vom Zivil unterscheidet. Aber meint man damit Vernunft? Nein. Vernunft hat der Feldrabbiner oder der Feldkurat oder der Herr vom Kriegswissenschaftlichen Archiv. Aber Logik ist nicht Vernunft. Logik heißt: handle unter allen Umständen ehrenvoll, aber konsequent, rücksichtslos und ohne Gefühl; und laß dich durch nichts irre machen! Denn die Welt wird nicht von der Vernunft regiert, sondern muß mit eiserner Logik beherrscht werden, wenn auch auf ihr, seit sie besteht, geredet wird! – Das ist es also, was mir der Kriegsminister zu verstehen gegeben hat; und du wirst einräumen, daß es in mir nicht auf den unfruchtbarsten Boden gefallen ist, denn es ist ja nichts als die alte, bewährte Offiziersmentalität. Ich habe seither wieder etwas mehr davon in mir; und du wirst es auch nicht leugnen können: Wir müssen schlagfertig sein, bevor wir alle anfangen, vom Ewigen Frieden zu sprechen; wir müssen zuerst unsere Versäumnisse und Schwächen gutmachen, damit wir dann bei der allgemeinen Verbrüderung nicht im Nachteil sind. Und unser Geist ist nicht schlagfertig! Er ist überhaupt nie fertig! Der Zivilgeist ist ein bedeutsames Hin und Her, ein Empor und Hinab, und du hast ihn einmal den tausendjährigen Glaubenskrieg genannt: aber davon können wir uns nicht ruinieren lassen! Es muß also jemand da sein, der, wie man beim Militär sagt, Initiative hat und die Führung übernimmt, und dazu ist der Vorgesetzte berufen: Das sehe ich jetzt selbst ein; und ich bin nicht ganz sicher, ob ich früher, in meiner Teilnahme für alle geistigen Bestrebungen, nicht doch manchmal zu weit hingerissen worden bin.»
    Ulrich fragte: «Und was wäre geschehn, wenn du das nicht eingesehen hättest? Hätte man dir den Zylinder geschickt?»
    «Nein, das nicht» berichtigte

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