Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
Vom Netzwerk:
Bemerkenswerte ist, daß es ja wirklich zuweilen dahin kommt, daß aber solche Zeiten der Inquisition oder ihres Gegenteils, der menschenvertraulichen Schwärmerei, in schlechtem Gedenken bleiben.
    Darum ist es das Lebenerhaltende schlechthin, daß es der Menschheit gelungen ist, anstatt dessen «wofür, es sich wirklich zu leben lohnt», das «Dafür» leben zu erfinden, oder mit anderen Worten, an die Stelle ihres Idealzustands den ihres Idealismus zu setzen. Es ist ein Davor-Leben; anstatt zu leben «strebt» man nun, und ist seither ein Wesen, das mit allen Kräften ebensowohl zur Erfüllung hindrängt, als es auch des Anlangens enthoben ist. «Für etwas leben» ist der Dauerersatz des «In». Alle Wünsche, und nicht nur die der Liebe, sind ja nach der Erfüllung traurig; aber in dem Augenblick, wo sich der Tausch des Wünschens mit der Tätigkeit Für den Wunsch vollzogen hat, wird das auf eine sinnreiche Weise aufgehoben, denn nun tritt das unerschöpfliche System der Mittel und Hindernissse an die Stelle des Ziels. Selbst wer ein Monomane ist, lebt da nicht eintönig, sondern hat beständig Neues zu tun, und gar wer in seinem Lebensinhalt überhaupt nicht leben könnte – ein Fall, der heute häufiger ist als man denkt, so ein Professor der Landwirtschafts-Hochschule, von dem der Pflege des Stallmists und der Jauche neue Wege gewiesen werden — lebt Für diesen Inhalt ohne Beschwerden und genießt das Anhören von Musik oder ähnliche Erlebnisse, wenn er ein tüchtiger Mensch ist, immer gleichsam zu Ehren der Stallwirtschaft. Dieses «zu Ehren von etwas» etwas anderes tun, ist übrigens von dem Etwas noch ein wenig weiter entfernt (oft nur noch ein beruhigendes Summen) als das Für, und stellt darum die am meisten angewandte, weil sozusagen billigste Methode dar, im Namen eines Ideals alles das zu tun, was sich mit ihm nicht vereinbaren läßt.
    Denn der Vorteil alles Für-und-Zu-Ehren-von besteht nicht zuletzt darin, daß durch den Dienst am Ideal alles wieder ins Leben hineinkommt, was durch das Ideal selbst ausgeschlossen wird. Das klassische Beispiel dafür haben schon die fahrenden Ritter der Minne aufgestellt, die über jeden Gleichen, der ihnen begegnet ist, wie die tollen Hunde hergefallen sind, zu Ehren eines Zustands in ihren Herzen, der so weich und duftig war wie tropfendes Kirchenwachs. Aber auch die Gegenwart läßt an kleinen Eigenheiten keinen Mangel, die damit verwandt sind. So etwa, daß sie Prachtfeste veranstaltet zur Linderung der Not. Oder die große Zahl der strengen Menschen, die auf der Durchführung öffentlicher Grundsätze bestehn, von denen sie sich ausgenommen wissen. Auch das Scheinzugeständnis, daß der Zweck die Mittel heilige, gehört daher, denn in Wirklichkeit sind es die immer bewegten, abwechslungsreichen Mittel, denen zuliebe gewöhnlich die Zwecke in Kauf genommen werden, die moralisch und reizlos sind. Und mögen solche Beispiele noch spielerisch aussehn, so verstummt dieser Einwand vor der unheimlichen Beobachtung, daß das zivilisierte Leben zweifellos eine Neigung zu den rohesten Ausbrüchen hat, und daß diese nie roher sind, als wenn sie zu Ehren großer und heiliger, ja sogar zarter Gefühle erfolgen! Werden sie da als entschuldigt gefühlt? Oder ist das Verhältnis nicht vielmehr das umgekehrte?
    So kommt man auf vielerlei zusammenhängenden Wegen dahin, daß die Menschen nicht gut, schön und wahrhaftig sind, sondern es lieber sein wollen, und ahnt, wie sie unter dem einleuchtenden Vorwand, daß das Ideale seiner Natur nach unerreichbar sei, die schwere Frage verschleiern, warum es so ist. Und ungefähr so sprach auch Ulrich und sparte nicht mit Ausfällen gegen Lindner und den Lindnerschen Gutsinn, die sich daraus von selbst ergaben. Es sei sicher, behauptete er, daß jener zehnmal gewisser vom Einmaleins oder von den Regeln der Sittlichkeit überzeugt sei als von seinem Gott, aber sich, indem er für seine Gottesüberzeugung wirke, dieser Schwierigkeit größtenteils entziehe. Er bringe sich dazu in den Zustand des Glaubens, einer Verfassung, worin das, wovon er überzeugt sein möchte, so geschickt mit dem vermengt ist, wovon er überzeugt sein kann, daß er es selbst nicht mehr zu trennen vermöge ––––––
    Hier bemerkte Agathe, daß alles Wirken fragwürdig sei. Sie erinnerte sich an die paradoxe Behauptung, daß wirklich und im Innersten gut nur solche Menschen bleiben, die nicht viel Gutes täten. Es schien ihr nun erweitert, und so

Weitere Kostenlose Bücher