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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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erläuterte Ulrich «die ausgebreitete Tätigkeit, die er seinem Glauben angedeihen läßt, ist vielleicht das wichtigste Beispiel, aber eben doch nur eins der Technik, die immer angewendet wird, um Ideale für den Alltagsgebrauch verwendbar und haltbar zu machen.»
    So erklärte er ihr ausführlich seinen aus dem Stegreif erfundenen Begriff des Für-und-In-etwas-Lebens.
    Das menschliche Leben ist anscheinend gerade so lang, daß man darin, wenn man für etwas lebt, die Laufbahn vom Nachläufer zum Vorgänger zurücklegen kann, und dabei kommt es für die menschliche Zufriedenheit weniger darauf an, wofür man lebt, als daß man überhaupt für etwas zu leben hat: ein Nestor der deutschen Weinbranderzeugung und der Pionier einer neuen Weltanschauung genießen außer ähnlichen Ehren auch noch den gleichen Vorteil, der darin besteht, daß das Leben trotz seinem fürchterlichen Reichtum keine einzige Frage enthält, die nicht einfacher würde, wenn man sie mit einer Weltanschauung, aber auch ebenso, wenn man sie mit der Weinbranderzeugung in Verbindung bringt. Ein solcher Vorteil ist genau das, was man mit einem neueren Wort Rationalisierung nennt, nur werden dabei nicht Handgriffe rationalisiert, sondern Ideen, und wer vermöchte nicht schon heute zu ermessen, was das bedeutet. Noch im geringsten Fall ist dieses Leben «Für etwas» mit dem Besitz eines Notizbuchs zu vergleichen, worin alles eingetragen und Erlebtes ordentlich durchstrichen wird. Wer das nicht tut, lebt unordentlich, wird mit den Dingen nicht fertig, und wird von ihrem Kommen und Gehen geplagt; wer dagegen ein Notizbuch hat, gleicht dem ökonomischen Hausvater, der jeden Nagel, jedes Stück Gummi, jeden Fetzen Stoff aufhebt, weil er weiß, daß ihm solcher Fund eines Tags in der Wirtschaft dienen wird. Ein solches bürgerliches «Für etwas», wie es als Zusammenfassung würdigen Schaffens oft auch als Steckenpferd oder heimliches Pünktchen, das einer beständig im Auge hat, von der Väterzeit überliefert worden, stellte aber damals eigentlich schon etwas Veraltetes dar, denn eine Neigung ins Große, ein Hang zur Entwicklung des Für-etwas-Lebens in mächtigen Verbänden hatte sich bereits an seine Stelle gesetzt.
    Dadurch gewann das, was von Ulrich im Scherz begonnen worden war, unter dem Sprechen ernstere Bedeutung. Die Unterscheidung, die er getroffen hatte, verlockte ihn vor unerschöpfliche Aussichten und wurde für ihn in diesem Augenblick zu einer von jenen, an denen die Welt wie ein durchschnittener Apfel am Messer auseinanderfällt und ihr Inneres darbietet. Agathe wandte ihm ein, daß man doch oft auch sage, «einer gehe ganz in etwas auf, oder er lebe und webe darin», obwohl es sicher sei, daß nach Ulrichs Namengebung solche eifrige Leber und Weber es für ihre Sache täten; und Ulrich gab es zu, daß man wohl genauer verführe, etwa zwischen den Begriffen «Sich im Zustand seines Ideals befinden» und «Sich im Zustand des Wirkens für sein Ideal befinden» zu unterscheiden, wobei aber das zweite In entweder ein uneigentliches sei, und in Wahrheit eben ein Für, oder das gemeinte Verhältnis zum Wirken ein ungewöhnliches und ekstatisches sein müßte. Im übrigen habe die Sprache ihre guten Gründe so genau nicht zu verfahren, denn Für etwas leben ist der Zustand des weltlichen Daseins. In dagegen immer das, wofür man jenes zu leben vorgibt und vermeint, und das Verhältnis dieser beiden Zustände zueinander ist ein äußerst verstocktes. Weiß der Mensch doch im Geheimen von der wunderbaren Tatsache, daß alles, «wofür es sich zu leben lohnt», etwas Unwirkliches, wenn nicht gar Absurdes wäre, sobald man ganz darin eingehen wollte, ohne das man es natürlich zugeben dürfte. Die Liebe stünde nimmermehr von ihrem Lager auf, in der Politik müßte der geringste Beweis von Aufrichtigkeit schon auf die tödliche Vernichtung des Gegners hinauskommen, der Künstler dürfte jeden Verkehr mit unvollkommeneren Wesen als Kunstwerken verschmähen, und die Moral müßte nicht aus perforierten Vorschriften bestehn, sondern in jenen kindlichen Zustand der Liebe zum Guten und des Abscheus vor dem Bösen zurückführen, der alles wörtlich nimmt. Denn wer das Verbrechen wirklich verabscheut, dem wäre die Anstellung ausgebildeter Berufsteufel nicht zu wenig, die Gefangenen wie auf alten Bildern des Höllenfeuers zu martern, und wer die Tugend restlos liebte, der dürfte von nichts als vom Guten essen, bis ihm der Magen in die Kehle stiege. Das

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