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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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und ein kleiner Felsbruch darin war außer der Kieferngruppe das einzig Heroische inmitten gutmütiger Leiblichkeit, die ihn zu Tränen rührte, weil Clarisse nichts davon sah und nichts von sich wußte, sondern sich unbedingt die einzige Stelle hatte wählen müssen, wo die Landschaft in schwierigem Widerspruch zu sich selbst stand. Walter war eifersüchtig auf Meingast; aber er war nicht in gewöhnlicher Weise eifersüchtig, er war ebenso stolz wie Clarisse auf den neuen alten Freund, der doch gewissermaßen als ihr eigener in die Welt entsendeter Bote mit Ruhm beladen zurückkehrte. Ulrich bemerkte, daß Meingast in der kurzen Zeit auf Clarisse mächtigen Einfluß gewonnen hatte, und daß die Eifersucht auf Meingast Walter viel ärger quälte als seinerzeit die auf ihn, denn Walter fühlte die Überlegenheit Meingasts, und hatte niemals eine Überlegenheit Ulrichs gefühlt außer der körperlichen. Jedenfalls schienen diese drei Menschen tief in ihre Angelegenheit verstrickt zu sein; sie waren schon tagelang in Gesprächen, und ihre Gäste vermochten sie so wenig einzuholen wie Menschen, die in einen Urwald gegangen sind. Meingast schien auf die Verständigung mit dem Neuen auch keinen Wert zu legen, denn er fuhr ohne alle Rücksicht dort zu sprechen fort, wo das Gespräch vor Stunden oder Tagen abgebrochen worden sein mochte.
    Die Musik, erklärte er, die Musik sei eine überseelische Erscheinung. Nicht die Kapellmeister- oder Musikautomatenmusik natürlich, die das Theater beherrscht; und auch nicht die Musik der Erotiker, worauf eine blitzschnelle Erläuterung folgte, wie ein solcher Erotiker sei in großem Zickzack von den Anfängen der Kunst bis zur Gegenwart sondern die absolute Musik. «Absolute Musik ist plötzlich, wie ein Regenbogen, von einem Ende zum andern, in der Welt; sie ist strahlend gewölbt, ohne Vorankündigung; eine Welt auf klirrenden Flügeln, eine Welt von Eis, die wie ein Hagelschlag in der anderen schwebt.»
    Clarisse und Walter horchten geschmeichelt auf. Clarisse legte überdies die Vorstellungsverbindung Musik-eisig-Hagelschlag beiseite, um sie bei dem nächsten hausmusikalischen Kampf gegen Walter zu gebrauchen.
    Meingast erklärte sich ihnen einstweilen, in Eifer geraten, an Beispielen der alten, italienischen noch gesunden Musik. Er pfiff es ihnen vor. Er war etwas zur Seite getreten und stand wie ein Pfahlfetisch in den Wiesen, langgliedrig die beschreibende Hand, das Wort wie eine Türkenpredigt. Das war nun längst nicht mehr bloß Kunst oder ästhetischer Meinungsaustausch, sondern Meingast pfiff metaphysische Beispiele, absolute Gestalten und Erscheinungen aus Tönen, die nur in der Musik vorkommen und sonst nirgends in der Welt. Er pfiff schwebende Kurven oder ungreifbare Bilder, aus Trauer, Zorn, Liebe, Heiterkeit, forderte das Ehepaar auf, zu prüfen, inwieweit es dem gleiche, was man im Leben unter diesem Namen verstehe, und erwartete von Clarisse und Walter, daß sie, ihre eigenen Empfindungen verfolgend, an das Ende einer abbrechenden Brücke gelangen sollten, von wo aus sie erst die absolute melodische Figur in ihrer ganzen Unfaßbarkeit davonschweben sehen würden.
    Was auch, wie es schien, geschah, und einen starren Glücksschauder auf die drei verbreitete. «Einmal aufmerksam gemacht, fühlt ihr selbst,» sagte Meingast «daß Musik nicht aus uns allen stammen kann. Sie ist das Bild ihrer selbst und eben darum nicht bloß das Bild eurer Gefühle. Also überhaupt kein Bild. Nichts, das sein Dasein erst durch das Dasein von etwas anderem empfangen würde. Sie ist einfach selbst Dasein, Sein, jede Begründung verachtend.» Und nun schob Meingast die Kunst mit einer Handbewegung weit hinter sich, wo sie das Fragment von etwas Größerem wurde, «denn» sagte er «die Kunst idealisiert nicht, sondern sie realisiert. Man muß, um an das Wesentliche zu kommen, ganz brechen mit der Ansicht, daß Kunst irgendetwas in uns emporhebe, verschönere oder dergleichen. Genau umgekehrt ist es. Nehmt Trauer, Größe, Heiterkeit oder was ihr wollt: es ist nur die hohle, irdische Bezeichnung für Vorgänge, die weit mächtiger sind als der lächerliche Faden, den unser Verstand von ihnen erfaßt, um sie daran herunterzuziehn. In Wahrheit sind alle unsere Empfindungen unausdrückbar. Wir pressen ihnen einen Tropfen aus und meinen, dieser Tropfen seien sie gewesen. Aber sie sind die dahineilende Wolke! Alle unsere Erlebnisse sind mehr, als wir von ihnen erleben. Ich könnte nun einfach das

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