Gesammelte Werke
so etwas dumm, und Leona hätte niemals darüber mit ihnen gestritten, obgleich sie es eher vornehm fand; außerdem hatte sie bald den Vorteil erraten, daß ihr aus dem Ruf, dumm und gefräßig zu sein, Bewunderung erwuchs. Denn «dumm und gefräßig» ist eine Wortverbindung, die jedermann gerne ausspricht, obgleich man selten im Leben Gelegenheit hat, etwas zu sehen, das sie wirklich darstellt, und sieht man es, so fühlt man sich dadurch geschmeichelt und ausgezeichnet als der besondere Kerl, dem es gelungen ist, so etwas aufzustöbern. Man denke, was ein Mensch sich auf sich einbilden möchte, dem es zum Beispiel gelungen wäre, die eine Schwalbe zu besitzen, die noch keinen Sommer macht. Auch wenn man glaubt, das Wahre, Gute und Schöne in einer Person verleiblicht angetroffen zu haben, wird man ähnlich berührt. Und auf solchen Gründen beruhte auch der Erfolg Leonas, ohne daß sie es natürlich wußte. Leider ist die gute Gesellschaft flatterhaft und sucht schon nach wenigen Wochen neue geistige Anregung, so daß Leona bald in die Gefahr geriet, wieder im Dunkel zu versinken. Aber ehe sie das noch wußte und Zeit gefunden hatte, darüber zu erschrecken, trat Leo Fischel als Retter auf.
Direktor Fischel hatte schon bei jenem ersten Besuch mit Ulrich und Arnheim einen starken Eindruck von ihr empfangen und war einigemal wiedergekehrt, um sie zu bewundern. Er war ein Freigeist, und die Harmonie ihres Antlitzes erinnerte ihn an die Bildnisse von Königinnen. Er nannte sie bei sich eine edle Schönheit, um damit zu entschuldigen, daß er öfters einen Sitz in der ersten Reihe des teuren Variétés nahm, in dem sie damals auftrat, was ganz gegen seine Ansichten von der Sparsamkeit eines kaufmännischen Angestellten ging, als den er sich bitter bezeichnete. Daß er gehört hatte, die schöne Frau habe Verhältnisse mit Adligen, gefiel ihm und beruhigte ihn über die Aussichtslosigkeit jedes Verlangens; selbst ihr teurer Appetit, von dem er sich durch Ulrich gehört zu haben erinnerte, gewann dadurch jene Vornehmheit, die alles Unerreichbare hat. So kam sie ihm, wenn er sie durch ein Fernglas betrachtete, in ihrer Ruhe und Schönheit als das vor, wonach er sich sehnte, sooft er aus der Bank nachhause gehen sollte und annehmen durfte, daheim seine Gattin Klementine vorzufinden. Man kann beinahe sagen, sie war sein Ideal, ehe sie eines Tags seine Wirklichkeit wurde. Aber mit Leo Fischel gingen in jener Zeit große Veränderungen vor sich. Um es kurz zu sagen, aus dem verläßlichen Prokuristen mit dem Titel Direktor, der niemals mehr zum Kummer seiner Gattin Klementine ein wirklicher Direktor zu werden schien, begann gerade damals ein erpichter Spekulant zu werden; daran war aber nicht etwa Leona schuld, sondern Klementine, denn Leo Fischel hatte den Kummer in seinem Hause satt. Er wäre zeit seines Lebens ein verläßlicher kaufmännischer Beamter geblieben, wenn seine Gattin zu ihm aufgeblickt und seine Tochter Gerda ihn anerkannt hätte. Seit Jahren geschah aber von beidem das Gegenteil. Leo Fischel liebte es, das Leben als vernünftig begründet zu erkennen und täglich ein wenig darüber zu sprechen; ein in der Volkswirtschaft schaffender Mensch erübrigt aber nicht viel Zeit dafür, und Widerspruch ist für ihn so viel wie ein Raubanfall. Dies vorausgesetzt, läßt sich sagen, daß Fischel von den zwei Frauen seit Jahren gemordet wurde. Möge ein andrer versuchen, was es heißt, wenn man ohne Ausnahme von seiner Umgebung bestritten und geleugnet wird. Eine Frau wird unschön, sobald ihr durch längere Zeit niemand sagt, daß sie schön sei, und ein Geist, der niemals Erfolg findet, welkt ab, sofern er nicht zu gewaltigem Trotz entartet, wozu aber Leo Fischel keine Zeit hatte. Da trat an ihn die Versuchung in Form eines Kompaniegeschäfts heran, das man ihm anbot. Es war eine Spekulation, und er sollte sich mit keinem großen Betrag beteiligen, es kam mehr auf den Einblick an, den er durch seine Stellung in gewisse Geschehnisse besaß. Um es kurz zu sagen, er verdiente mit einem Schlag und ohne Mühe, wenn auch auf keine ganz schöne Weise, ein ziemliches Stück Geld, stieg ein zweitesmal hinein und verdiente noch mehr. Das Fischelsche Einkommen hatte bisher für die Bedürfnisse ausgereicht und kleine Rücklagen ermöglicht, die durch Badereisen und andere außerordentliche Ausgaben jedesmal wieder aufgezehrt wurden; zum erstenmal seit seiner Verheiratung erkannte Leo Fischel jetzt wieder den Reiz, das sanfte
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