Gesammelte Werke
Goethe genügt hat, seine Taschentücher in der Hosentasche zu tragen; mochte das nun stimmen oder nicht.
«Lange nicht gesehen» sagte Direktor Fischel.
«Ja» sagte Ulrich.
«Sie haben viel geerbt?» fragte Fischel.
«Ach» sagte Ulrich. «Hinlänglich.»
«Ja, man hat Sorgen.»
«Sie sehen aber ausgezeichnet aus? Sie haben sich irgendwie verjüngt.»
«O, danke, beruflich ging es ja immer. Aber sehen Sie,» er wies schwermütig auf den Briefstoß, der auf dem Schreibtisch lag «Sie kennen doch Hans Sepp?»
«Natürlich. Sie haben mich ja ins Vertrauen gezogen.»
«Richtig!» sagte Fischel.
«Das sind wohl Liebesbriefe?»
Das Telefon klingelte. Fischel setzte den Kneifer auf, den er beim Sprechen abgenommen hatte, fingerte ein Blatt mit Notizen aus dem Rock und sagte: «Kaufen!» Dann sprach die Stimme auf der anderen Seite des Drahts eine lange Weile unhörbar auf ihn ein. Von Zeit zu Zeit blickte Fischel über das Glas zu Ulrich auf, einmal sagte er sogar: «Entschuldigen Sie!» Dann rief er in den Apparat: «Nein, danke; die zweite Sache liegt mir nicht! Reden? Ja, noch einmal darüber reden können wir» und hängte mit einem ganz kurzen befriedigten Nachdenken ab.
«Sehen Sie» sagte Fischel. «Da ist jemand in Amsterdam; viel zu teuer! Die Sache war vor drei Wochen nicht die Hälfte wert und in drei Wochen wird sie nicht einmal die Hälfte wert sein von dem, was sie jetzt kostet. Aber dazwischen wäre ein Geschäft zu machen. Ein großes Risiko!»
«Sie haben ja auch nicht gewollt» meinte Ulrich.
«Ach, das ist noch nicht gesagt. Aber ein großes Risiko!... Und trotzdem, lassen Sie sich sagen, ist das Bauen in Marmor, Stein auf Stein! Kann man auf die Gesinnung, die Liebe, die Ideale eines Menschen bauen?!»
Er dachte an seine Frau und an Gerda. Wie anders war das anfangs gewesen! Das Telefon klingelte wieder, aber diesmal war es ein Irrtum.
«Früher haben Sie feste moralische Werte sogar höher bewertet als eine feste Börse» sagte Ulrich. «Wie oft haben Sie es mir verübelt, daß ich Ihnen darin nicht folgen konnte!»
«Ach,» antwortete Fischel «Ideale sind wie Luft, die sich verändert, du weißt nicht wie; bei geschlossenen Fenstern! Hat man vor fünfundzwanzig Jahren eine Ahnung vom Antisemitismus gehabt? Nein, man hatte die großen Gesichtspunkte der Humanität! Sie sind zu jung. Ich aber habe noch einige große Parlamentsdebatten gehört. Die Ausklänge! Verläßlich ist nur, was man in Ziffern ausdrücken kann! Glauben Sie mir, die Welt wäre viel vernünftiger, wenn man sie einfach dem freien Spiel von Angebot und Nachfrage überließe, statt sie mit Panzerschiffen, Bajonetten, wirtschaftsfremden Diplomaten und sogenannten nationalen Idealen auszurüsten.»
Ulrich unterbrach ihn mit dem Einwand, daß doch gerade die Schwerindustrie und die Banken durch ihre Ansprüche die Völker zu Rüstungen antreiben.
«Nun, sollen sie nicht??» erwiderte Fischel. «Wenn die Welt ist, wie sie ist, und am hellen Tag in Narrenkostümen herumläuft, sollen sie nicht damit rechnen? Wenn nun einmal Militär für Zollverhandlungen oder gegen Streikende gut ist?! Wissen Sie, das Geld hat seine eigene Vernunft, damit läßt sich nicht spaßen! Übrigens à propos, haben Sie etwas Neues von den Arnheimschen Erzlagern gehört?» Wieder hatte das Klingelzeichen gerufen; aber mit der Hand am Apparat wartete Fischel die Antwort Ulrichs ab. Das Gespräch war kurz, und Fischel hatte den Faden ihres Gesprächs nicht verloren; da Ulrich von Arnheim nichts Neues wußte, wiederholte er, daß das Geld eine eigene Vernunft habe. «Geben Sie acht» fügte er hinzu. «Wenn ich Hans Sepp 500 Mark anbieten ließe, damit er sich an eine Universität seines über alles geliebten Deutschlands verzieht, so würde er sie entrüstet zurückweisen. Wenn ich ihm 1000 biete, gleichfalls. Ließe ich ihm jedoch 10000 anbieten – aber das werde ich nie im Leben tun, selbst wenn ich noch so viel Geld hätte!» Es sah beinahe so aus, als hätte Direktor Fischel vor Schreck über einen solchen Einfall den Zusammenhang verloren, aber er überlegte nur und fuhr fort: «Das kann man eben nicht, weil Geld seine eigene Vernunft hat. Bei einem Mann, der unsinnige Ausgaben macht, bleibt es nicht; es flieht ihn, es macht ihn zu einem Verschwender. Daß die 10000 Mark sich weigern, Hans Sepp angeboten zu werden, beweist, daß dieser Hans Sepp nichts Reelles, kein Wert, sondern ein gottsträfliches Schwindelgewächs ist, mit dem mich der
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