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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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und warme Geborgensein, das sich einstellt, sobald ein Mensch mehr einnimmt als er verbraucht. Aber das war nicht die Hauptsache. Was sein Schicksal entschied und ihn binnen kurzer Zeit veränderte, war die Erkenntnis seiner Kraft und des ruhigen Wohlgefühls, das sich einstellt, wenn ein Mann von seiner Kraft Gebrauch macht. Die Zeit, wo er nicht spekuliert hatte, obgleich sie sein ganzes Leben ausmachte, kam ihm vor wie eine Entmannung. Wie konnte er, wenn er schon Bankmann war, so feig gewesen sein, das nicht zu benützen! Seine Grundsätze waren mit einem Schlag vergessen. Nach diesen Grundsätzen war das Geld eine vernünftige Macht, dazu bestimmt, durch Angebot und Nachfrage die Zivilisation zu befruchten und von Ausschreitungen zurückzuhalten. Leo Fischel hatte einmal in einer nachdenklichen Stunde Schiller so umgedichtet: Wohltätig ist des Geldes Macht, wenn sie der Mensch bezähmt, bewacht. Vielleicht war es sogar das, was Schiller eigentlich hatte ausdrücken wollen, und der Beruf des Bankbeamten erschien Fischel als eine heilige Feuerwache. Niemals hätte er zugegeben, daß man selbst die Hand ins Feuer stecken und spielen dürfe, obgleich er wußte, daß die Obersten es taten; aber die Obersten erschienen ihm nicht als Spekulanten, sondern als Gewaltige, die einen derartigen Überblick über den Geldmarkt hatten, daß sie ihre Taschen geradezu hätten zunähen müssen, wenn nicht unwillkürlich etwas hineinfließen sollte. Er war der geborene Subalterne. Aber es schien nur so; in Wahrheit hatte ihn nur sein Idealismus zum Untergebenen gemacht, denn jeder irdische Idealismus hat den Zweck, die Begierden auf Höheres abzulenken und in einer den Machthabern genehmen Weise zu entkräften. Fischel kam sich hereingefallen vor. Er hatte treu an das Hohe geglaubt, an die fortschreitende geistige Rentabilität der Welt; er war arm geblieben, seine Frau hatte ihn nicht mehr respektiert, er hatte es erleben müssen, daß ein bübischer Antisemit sich seiner Tochter bemächtigte, und wenn er sich gegen etwas verwahrte, behandelte man ihn nachsichtig wie einen Kranken oder einen, der durch Unglück im Zuchthaus gesessen ist! So hatte sich die Abwendung Fischels von seinen Grundsätzen schon lange vorbereitet, und die Ereignisse, die in sein Leben eingetreten waren, hatten diesen Grundsätzen bloß einen letzten gewaltigen Tritt gegeben. Es war Fischel nicht um das Verdienen zu tun, er stürzte sich nicht auf den Besitz, sondern auf eine neue rettende Idee seines Lebens; die verheerende Leidenschaft einer großen Greisenliebe für die ewige Jugend und Unmoral des Geldes war in ihm entfacht worden.
    Von dem Augenblick an, wo Fischel unerlaubte Geschäfte machte, ließen ihn die säuerlichen Antworten seiner Gattin Klementine kalt. Die Frage, ob in einer guten Familie Zahnstocher auf den Tisch kommen dürfen oder nicht, die mindestens einmal in jeder Woche einen Streit ausgelöst hatte, der zwei Weltanschauungen in Brand setzte, beantwortete er damit, daß er am Familientisch auf den Zahnstocher entgegenkommend verzichtete, dagegen oft unter dem Vorwand geschäftlicher Besprechung dem Familientisch fernblieb. Selbst die materielle Gesinnung, die ihm so oft morgens am Frühstückstisch nach peinlichem nächtlichen Erlebnis die steife Verachtung seiner Gattin zugezogen hatte, schien jetzt von ihm geschwunden zu sein, und Klementine, die er verachtete, aber, um sie nicht argwöhnisch zu machen, öfters mit kleinen Aufmerksamkeiten beschenkte, begann zuweilen über ihrem gefrorenen Fleisch einen dünnen Hauch ihrer einstigen Zärtlichkeit erblicken zu lassen. Natürlich hätte sie die Veränderung im Benehmen ihres Gatten geradezu mißtrauisch machen müssen, aber Leo war trotz seines Alters noch ein Anfänger, und Klementine hätte es niemals für möglich gehalten, was geschah; sie nahm gläubig an, daß Aufmerksamkeiten und Abwesenheiten ihres Gatten mit erhöhter geschäftlicher Tätigkeit und freudig stimmenden Vergütungen dafür zusammenhingen.
    Leo aber hatte sich, als Geld in seinen Besitz kam, stracks Leona genähert. Leona in ihrer Ahnungslosigkeit behandelte ihn anfangs, obgleich sie mit ihren Erfolgen bei anderen schon wieder im Abstieg war, schrecklich von oben herab, aber ihre Dummheit brachte ihr auch in dieser veränderten Anwendung Glück, denn Leo war es als erfahrenem Mann klar, daß er auf dem neuen Gebiet nicht über genügend Kenntnisse verfüge, und die ersten Erfahrungen schüchterten ihn ein. Ihre

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