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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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Bären in sich, das heißt, die Seele eines Mörders, und bedeute, daß er den Mord auf sich genommen habe, allen Mord, den an den ungeborenen und verhinderten Kindern, den feigen Mord, den die Menschen an ihren Talenten begehen, und den Mord auf der Straße durch die Fuhrwerke, Radfahrer und Bahnen. Clarisse fragte Rachel – denn natürlich war es Clarisse, die da sprach –, ob sie den Namen Moosbrugger schon gehört habe. Nun, Rachel hatte, obgleich sie ihn später wieder vergaß, Moosbrugger geliebt und gefürchtet wie einen Räuberhauptmann, damals, als er alle Zeitungen in Schrecken setzte und bei Diotima öfters von ihm gesprochen wurde; also fragte sie gleich, ob es sich um ihn handle.
    Clarisse nickte. «Er ist unschuldig!»
    Zum erstenmal hörte das Rachel nun von einer Autorität, was sie sich selbst früher oft gedacht hatte.
    «Wir haben ihn befreit» fuhr Clarisse fort. «Wir, die Verantwortlichen, die mehr erkennen als die übrigen. Aber wir müssen ihn nun verbergen.» Clarisse lächelte, und so eigentümlich und doch beseligend freundschaftlich, daß das Herz Rachel in die Höschen fallen wollte, aber unterwegs stecken blieb, ungefähr in der Gegend des Magens. «Wo verbergen?» stammelte sie blaß.
    «Die Polizei wird ihn suchen,» erklärte Clarisse «er muß also irgendwohin, wo ihn kein Mensch vermuten kann. Das beste wäre, Sie würden ihn als Ihren Mann ausgeben. Er müßte ein Stockbein tragen, das läßt sich leicht vortäuschen, oder irgendetwas, und Sie würden einen kleinen Laden mit anschließendem Wohnraum aufnehmen, damit es so aussieht, wie wenn Sie damit Ihren invaliden Ehemann ernährten, der das Haus nicht verlassen kann. Das Ganze dauert nur ein paar Wochen, und ich könnte Ihnen mehr Geld dafür geben, als Sie brauchen.»
    «Aber warum nehmen Sie ihn denn nicht zu sich, gnädige Frau!?» wagte Rachel dem entgegenzuhalten.
    «Mein Mann ist nicht eingeweiht und würde mir das nie erlauben» antwortete Clarisse und fügte die Lüge hinzu, daß der Vorschlag, den sie gemacht habe, von Ulrich ausgehe.
    «Aber ich fürchte mich vor ihm!» rief Rachel aus.
    «Das ist schon richtig» meinte Clarisse. «Aber, liebes Fräulein, alles Große ist furchtbar. Viele große Männer sind im Irrenhaus gewesen. Es ist unheimlich, sich mit jemand auf gleich zu stellen, der ein Mörder ist; aber sich mit dem Unheimlichen gleichzustellen, ist der Beschluß zur Größe!»
    «Aber will denn er überhaupt?» fragte Rachel. «Kennt er mich? Will er mir nichts tun?»
    «Er weiß doch, daß Sie ihn retten wollen. Denken Sie, er hat in seinem Leben nur Ersatzweiber gekannt? Sie verstehen, was ich meine. Er wird glücklich darüber sein, daß eine wirkliche Frau ihn schützt und aufnimmt; und er wird Sie mit keinem Finger berühren, wenn Sie es ihm nicht erlauben. Dafür stehe ich Ihnen gut! Er weiß, daß ich die Kraft habe, ihn zu bezwingen, wenn ich will!»
    «Nein, nein!» Rachel stieß nur dies hervor; sie hörte auch von allem, was Clarisse sagte, nur noch die Gestalt der Stimme und Sprache, eine Freundlichkeit und schwesterliche Gleichheit, der sie nicht widerstehen konnte. So hatte noch nie eine Dame zu ihr gesprochen, und doch war gar nichts Gekünsteltes und Falsches daran; Clarissens Gesicht befand sich in einer Ebene mit dem ihren und nicht in der Höhe wie das Diotimas; sie sah die Züge arbeiten, namentlich zwei Längsfalten bildeten sich immer wieder von der Nase ausgehend und am Mund hinablaufend; Clarisse kämpfte sichtlich gemeinsam mit ihr um die Lösung.
    «Bedenken Sie, Fräulein» sagte Clarisse jetzt. «Der, welcher erkennt, muß sich opfern. Sie haben gleich erkannt, daß Moosbrugger nur zum Schein ein Mörder ist. Also müssen Sie sich opfern. Sie müssen das Mörderische aus ihm herausziehen, und dann kommt das, was ihrem eigenen Wesen entspricht, dahinter zum Vorschein. Denn Gleiches wird nur von Gleichem angezogen: das ist das unerbittliche Gesetz des Großen!»
    «Aber wann sollte das denn sein:»
    «Morgen. Ich komme gegen Abend zu Ihnen und hole Sie ab. Bis dahin ist alles geordnet!»
    «Wenn noch ein Dritter bei uns wohnen könnte, würde ich es tun» sagte Rachel.
    «Ich werde Sie täglich besuchen» sagte Clarisse «und achtgeben; es ist ja das Wohnen nur Schein. Sie dürfen doch auch gegen Ulrich nicht undankbar sein, wenn er einen Dienst von Ihnen braucht!»
    Das gab den Ausschlag. Clarisse hatte vertraulich den Taufnamen gebraucht. Rachel kam sich in diesem Augenblick mit

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