Gesammelte Werke
betonen, daß es dies nicht tue. Clarisse nannte es die Chemie der Worte, daß sie sich immer zu Gruppen zusammenschließen, und gab Gegenmaßregeln an. Ihre Lieblingsauskunft war, daß sie mit Ausrufungszeichen oder Unterstreichungen arbeitete. Gott!! rot!!! fährt! Solche Pfähle halten auf und das Wort staut sich an ihnen zu seinem vollen Sinn. Auch unterstrich sie die Worte ein bis zehnmal und solch eine von ihr geschriebene Seite sah bisweilen aus wie eine geheimnisvolle Notenschrift. Ein anderes Mittel, das sie aber weniger geläufig anwandte, war die Wiederholung; durch sie wurde das Gewicht des wiederholten Worts größer als die Kraft der syntaktischen Bindung, und das Wort begann ohne Ende zu sinken. Gott fährt grün grün grün grün. Es war ein unerhört schwieriges Problem, die Zahl der Wiederholungen so richtig zu bemessen, daß sie genau das ausdrückte, was gemeint war.
Eines Tages kam Ulrich mit einem Band von Goethes Gedichten, den er zufällig bei sich führte, und schlug ihr vor, aus jedem einer Anzahl Gedichte mehrere Worte herauszugreifen, zusammenzusetzen und zu sehen, was herauskäme. Es kamen solche Gedichte heraus:
Es kann nicht übersehen werden, daß von diesen Gebilden ein wirrer dunkler Reiz ausgeht, etwas vulkanisch Loderndes, als ob man in den Bauch der Erde blickte. Und wenige Jahre nach Clarisse ist ja in der Tat auch ein ähnliches Spiel mit Worten ahnungsvolle Mode der Gesunden geworden.
Clarisse nahm merkwürdige Folgerungen voraus. Feuerflocken aus dem Vulkan des Wahnsinns wurden von den Dichtern geraubt; irgendwann in Urzeiten und später, so oft ein Genie wiederkehrte; diese lodernden, noch nicht zu bestimmten Bedeutungen eingeengten Wortverbindungen wurden in die Erde der gewöhnlichen Sprache gepflanzt und bilden deren Fruchtbarkeit. «Die ja bekanntlich von ihrem vulkanischen Ursprung kommt». «Aber» so schloß Clarisse «daraus folgt, daß der Geist immer wieder zu Urelementen zerfallen muß, damit das Leben fruchtbar bleibt.» Damit war die Verantwortung einer ungeheuren Verantwortungslosigkeit in die Hände Clarissens gelegt; sie wußte, daß sie eigentlich ungebildet war, aber es erfüllte sie nun eine heroische Respektlosigkeit gegenüber allem, was vor ihr geschaffen worden war.
Soweit vermochte Ulrich den Spielen Clarissens zu folgen, und die Respektlosigkeit der Jugend erleichterte es ihm, in den zertrümmerten Geist die neuen Gebilde hineinzuträumen, die sich daraus formen ließen; ein Vorgang, der sich unter uns mehrmals wiederholt hat, sowohl um 1900 als man das Andeutende und Skizzenhafte liebte, wie nach 1910 wo man in der Kunst dem Reiz der einfachsten konstruktiven Elemente unterlag und die Geheimnisse der sichtbaren Welt anklingen hieß, indem man eine Art optisches Alphabet aufsagte.
Allein der Verfall Clarissens schritt rascher vorwärts, als Ulrich zu folgen vermochte. Eines Tages kam sie mit einer neuen Entdeckung. «Das Leben entzieht der Natur Kräfte auf Nimmerwiederkehr,» begann sie, wobei sie an die Gedichte anknüpfte, welche der Natur Worte entreißen, um sie langsam unfruchtbar werden zu lassen «indem das Leben diese der Natur entzogenen Kräfte in einen neuen Zustand ‹Bewußtsein› verwandelt, aus dem es keine Rückkehr gibt.» (Leo Tolstoi: «Das Bewußtsein ist das größte moralische Unglück, das einen Menschen erreichen kann.» — Fedor Dostojewski: «Jedes Bewußtsein ist eine Krankheit.» Aus dem Tagebuch Gorkis.) Es lag auf der Hand und Clarisse wunderte sich, daß noch niemand dies vor ihr bemerkt hatte. Dies kam davon, daß ihre Moral die Menschen hinderte, gewisse Dinge zu bemerken. «Alle physikalischen, chemischen und so weiter Reize, die mich treffen,» erklärte sie «verwandle ich in Bewußtsein; aber niemals ist noch das Umgekehrte gelungen, sonst könnte ich ja mit meinem Willen diesen Stein aufheben. Also stört das Bewußtsein beständig das Kräftesystem der Natur. Es ist die Ursache aller nichtigen, oberflächlichen Bewegung, und die ‹Erlösung› verlangt, daß man es vernichtet.»
Clarisse machte auch gleich noch eine weitere Entdeckung. Die untergegangenen, brodelnden, riesenwüchsigen, fantastischen Wälder der Carbonzeit sind es, was heute unter dem Einfluß der Sonne als Psychisches wieder frei wird, und durch die Ausbeutung der damals untergegangenen Energie entsteht die große geistige Energie der Jetztzeit. (Sie sagt: bisher war es nur Spiel, nun muß es ernst werden; da wird sie ihm
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